Die Dicken, die Dünnen und der Jojo-King - Symbolbild: Pixabay

REGION Echt jetzt! (11)

Die Dicken, die Dünnen und der Jojo-King - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

06.06.24 - Die Tage werden wärmer, Röcke, Hosen und Hemden werden kürzer – da kommen wieder Wahrheiten ans Licht: Unsere Gesellschaft ist gespalten. Nicht, wie die Spezialisten in Schwarzmalerei uns alltäglich vortrompeten, sondern viel banaler: Unsere Volksgemeinschaft spaltet sich in Dünne und Dicke. Oder, um es vornehmer zu schreiben: In Schlanke und Vollschlanke. Augen auf und hingeschaut!

Ganz junge und auch etwas ältere Ladies zeigen sich jetzt gern wieder bauchfrei, auch auf unseren osthessischen Straßen, fülligere nicht minder gern als spindeldürre. Kerle geben seltener und eher unfreiwillig den Blick frei auf die Region oberhalb des Gürtels – häufig, weil ihre alten T-Shirts zu heiß gewaschen oder unter anderen Leibesbedingungen erstanden wurden. Manches sieht man gern, manches nicht so. Was passiert da? Werden wir wieder fülliger?

Bemerkungen von Rainer M. Gefeller Grafik: O|N

Aber klar doch, posaunt die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG): 60 Prozent der erwachsenen Deutschen seien übergewichtig, auch die Jugendlichen machen sich schon einen breiten Fuß: 15 Prozent sind dicker, als die Ernährungswissenschaft erlaubt. Das sei "eine der größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit", klagt die DAG, wer "eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung von Körperfett" unter der Haut bunkert, werde unweigerlich bestraft: mit einem kürzeren Leben, Herzkrankheiten, Diabetes. Die dicke Mehrheit allerdings scheinen die Alarm-Meldungen immer weniger zu kratzen. Selbstbewusst stapft der hüftstarke Osthesse durch die Stadt und demonstriert auch gern mal mit triefenden Eiswaffeln in den Händen sein persönliches Glücksempfinden. Lass doch die dünnen Lauterbachs und die superschlauen Krankenkassen-Vertreter, die Ärzte und die Schlankmacher-Industriellen sich ereifern: Dick ist schön, basta.

"Dünn wie ein Zweiglein"

Symbolbild: Pixabay

Gönnen wir uns einen Rückblick: "Dünn wie ein Zweiglein", so beschrieb die Neue Zürcher Zeitung die bleistiftschlanke Lesley Hornby, besser bekannt als Twiggy, das Mädchen-Idol der 60er Jahre. Eben noch hatten Frauen mit "Atombusen" und anderen runden Formen den weiblichen Ideal-Körper geprägt (Anita Ekberg, Marilyn Monroe, Sophia Loren, Jayne Mansfield), jetzt schmolzen Männerphantasien schneller als die Eiskappen in Zeiten der Erderwärmung. Models mussten sich auf die Konfektionsgrößen 36 oder gar 34 herunterhungern, um als vorzeigbar zu gelten. Wer weiter lieber rund als klapprig aussehen wollte, wurde verspottet. Auf dem Weg in die neue schlankere Welt halfen unzählige Diäten, deren Namen Frau damals herbeten konnte: Atkins, Brigitte, Mittelmeer, Trennkost, Low-Fat, Kohl- oder Eier-Diät, Bikini-Diät... Die Menschheit benötigte immer weniger Stoff, um ihre Körper zu verhüllen. Erst patschten die Männer noch trotzig auf ihre Bierbäuche, dann wollten sie plötzlich ebenfalls einen "Waschbrettbauch" vorzeigen können. Auch Mann diätete jetzt, als Ranzenträger wollte man sich ja im Rosenbad nicht mehr blicken lassen.

Heerscharen von Ernährungswissenschaftlern warnten damals (und heute immer noch) vor dem "Jojo-Effekt" der Diäten – wer im Frühjahr den Speck abschmolz, konnte im Spätsommer schon wieder eine gewaltige Bauch-Murmel vorzeigen. Der deutsche Meister in dieser Disziplin war Helmut "Jojo-King" Kohl. Alle Jahre wieder zog es den Dauer-Kanzler, den der Spiegel 1985 auf "238 Pfund Lebendgewicht" taxierte, zur Fastenkur an den Wolfgangsee, wo er sich im Wesentlichen von trockenen Semmeln und Milch ernährte. 220 Pfund soll er nach der kulinarischen Selbstkasteiung gewogen haben – ein halbes Jahr später war er wieder in seine voluminösen Anzüge hineingewachsen. Vielleicht würde er sich heute die Visite am Wolfgangsee einfach sparen. Denn für die Mehrheit wäre einer wie "King Kohl" immer noch ein wahres Vorzeige-Idol.

Wenn man Frauenzeitschriften, Ärzteblätter, Gesundheits-Webseiten, Faltblätter der Krankenkassen, Influencer-Gestammel und Werbung für Frauenmoden verfolgt, muss man dem Irrtum verfallen: Dicke Menschen haben sich verdünnisiert; die Fit-ohne-Fun-Fraktion macht sich auf allen Medienkanälen breit. Normalgewichtige, die zum Verzehr von hyper-gesunden, Leib-schonenden Speisen eingeladen werden, sollten zuvor vorsichtshalber einen Snack einwerfen. Ist ja selbst dem verschlankten Menschen peinlich, wenn der Gast mit knurrendem Magen vor der kalorienarmen Mahlzeit sitzt. In solchen Haushalten werden selbst die Waagen immer empfindlicher, damit auch kleinste Gewichtseinheiten erfasst werden können.

"Dicke können besser"

Die schöne schlanke hypergesunde Welt, in die sich die westliche Überfluss-Gesellschaft hineinhungern sollte, ist freilich ein (übrigens teures) Minderheiten-Programm. Bereits 2009 verhöhnte Jürgen von der Lippe in seinem Song "Dicke können besser" den Schlankheitswahn: "Dick ist schick, fett ist nett, dünn ist doof, schlank ist krank." Keine Frage, die Ernährungs-Lehrer unserer Nation haben schlicht versagt. Natürlich wollen auch die Dicken fit, gesund und sportlich sein. Aber die mediterrane Kost wird halt den germanischen Essgewohnheiten angepasst. Ein paar Tropfen Olivenöl aufs panierte Kotelett – schon leben wir gesund, gell?

Ansonsten taugt die Mittelmeer-Küche aus der Sicht volumen-resistenter Ess-Bürger allenfalls als Vorspeise. Wer dennoch hin und wieder zu schwer an all dem schleppt, was er sich angefuttert hat, der greift neuerdings zur Abnehmspritze. Wegovy heißt das teure Wundermittel der Saison, die Liste seiner möglichen Nebenwirkungen ist lang. Ein Pharmazeut aus Osthessen hat’s trotzdem ausprobiert und ist beglückt: Er kann seine Schnürsenkel wieder sehen...

So ist das mit uns und unseren Kilos. Ob dünn, ob dick, ob mittelschwer: Am Ende zählt der eigene Wohlfühl-Körper. Und wie finden wir jetzt einen sauberen Abgang aus diesem Thema? Ach, lassen wir nochmal den Jürgen von der Lippe ran mit seinem Liebeslied an die Dicken: 

Dicke können besser lieben, weil man mehr von ihnen spürt –
Dicke will man nicht verlieren, weil man viel zu viel verliert! (Rainer M. Gefeller) +++

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