Tötet den Bärenklau - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
23.05.24 - "Geh da bloß nicht hin!", ermahnte mich die liebenswerte Frau aus Fulda, "bloß nicht nach Kämmerzell!" Gefahr würde da lauern, der Riesen-Bärenklau warte nur darauf, Vorbeikommende mit ätzendem Gift anzuspucken. Lass die nur reden, denkt man sich – dieser Spazierweg entlang der Fulda ist doch einfach zu verlockend. Aber dann stapft man dort längs, und unversehens steht man mitten im Dschungel. Von den Weg-Rändern blicken übermannsgroße Pflanzen auf den Wanderer herab, schön und unheimlich: der Riesen-Bärenklau. Man geht schneller. Nichts wie weg...
Dreh dich um, lauf weg
Nichts kann sie aufhalten
An jedem Fluss und Kanal wächst ihre Macht.
Das haben Genesis gesungen, 1971, in ihrem von giftigem Humor triefenden Bärenklau-Song "The Return Of The Giant Hogweed". Im Jahr zuvor waren bereits Sondereinheiten der britischen Streitkräfte zur Vernichtung des hochwachsenden Feindes angetreten. In jenem Jahr sollen sich englische Kinder vergiftet haben, als sie aus den Stängeln des Bärenklaus Blasrohre bastelten. Das Magazin "Country Living" nannte die Gift-Blume die "gefährlichste Pflanze Großbritanniens". Noch im vergangenen Sommer schockten der Independent und die BBC ihr Publikum mit Berichten über verätzte, mit Brandmalen übersäte Landsleute. 2008 wurde der Bärenklau auch in Deutschland zur "Giftpflanze des Jahres" auserkoren.
Wir müssen sie vernichten!
Sie infiltrieren jede Stadt mit ihrem dunklen fetten Gestank.
Sie sind unbesiegbar.
Reagieren wir nicht ein wenig hysterisch? Nun ja... Der Gigant wächst innerhalb weniger Wochen von einem harmlosen Winzling zu über drei Metern Höhe und zwingt alle anderen Blumen und Büschchen in seinen Schatten, wo sie verkümmern; das Riesending ist also ein Umweltkiller und spuckt seinen Samen bis zu 180 Meter weit. Von den Wurzeln bis in die Blütenblätter ist der Bärenklau überdies aufgetankt mit Furocumarine – wer damit in Berührung kommt, wird sich wenig später wünschen, er wäre in einen Schwarm Feuerquallen geschwommen. Verbrennungen übelster Art werden auf Internet-Seiten vorgezeigt, Blasen, nässende Wunden. Opfer berichten über Fieber, Schweißausbrüche, Kreislaufschocks, Erblindung; der feindselige Pflanzensaft dringt sogar durch Kleidung und Schutzhandschuhe. 1996 notierte der "Spiegel": "Wie eine biblische Plage walzt die Wucherpflanze seit einigen Jahren über Wiesen und Auen hinweg."
Verschwendet keine Zeit!
Beeilt Euch, wir müssen uns verteidigen und Schutz suchen.
Schlagt bei Nacht zu,
Dann sind sie wehrlos.
Auch Fulda ist längst vom Bärenklau umzingelt. Im Naturschutzgebiet der Horaser Wiesen hat der große Giftige sich breitgemacht, zwischen Johannesberg und Kohlhaus und überhaupt überall dort, wo die Bäche und Flüsse ihn anlocken. Jenseits der Blütenpracht des Schloßgartens hat man von der dortigen Fußgänger-Brücke freie Sicht auf den weit unterhalb fließenden Bach Waides – und was sieht man da: Wahre Bärenklau-Plantagen, die sich freudig der Zeit ihrer giftigen Blüte entgegenrecken.
Der Aggressor ist ein Migrant. Im 19. Jahrhundert hatten stolze Botaniker das Fundstück im Kaukasus ausgebuddelt und nach Westeuropa verschleppt. Dort wuchs der Hogweed schnell zur Vorzeige-Pflanze in Gärten und Parks: So schön! So groß! So herrlich exotisch! Die Engländer und Franzosen, die Deutschen, die Schweden und all die übrigen gutgläubigen Europäer haben lange gebraucht, um zu erkennen, welchen Unhold sie sich da ins Heim geholt hatten – aber da war’s schon zu spät, die Invasion aus dem Osten hatte vollen Erfolg. Erinnert uns das nicht an gewisse aktuelle Ereignisse? Der Kaukasus, der auch die berückende Krim-Lilie hervorbringt, ragt im Nordwesten bis an die von Putins Invasions-Armee besetzte ukrainische Halbinsel. Bei den Polen, die schon sehr lange vor der tückischen Eroberungs-Wucht ihrer östlichen Nachbarn warnen, heißt der Bärenklau übrigens mancherorts "Stalins Rache".
Ganz wehrlos sind wir natürlich nicht. In Kämmerzell war der Spazierweg dank eines massiven Vernichtungs-Feldzugs im vergangenen Sommer wieder nahezu Bärenklau-frei. Aber jetzt hat sich der Unhold dort und anderswo wieder aufgebäumt, man darf halt niemals nachlassen. Alle Jahre wieder muss man Blütenköpfe abschlagen und verbrennen oder gleich die chemische Keule auspacken, wir sind es unserer eingeborenen Flora schuldig. Wenn wir dem feindseligen Gestrüpp zu Leibe rücken, können wir uns ja mit Hilfe von Genesis in Stimmung bringen. Eine auf Youtube verbreitete Aufführung des Songs aus dem Jahr 1972 kommentierte ein Mensch mit dem Ausruf: "War der Peter Gabriel hübsch!" Ja, freilich, aber darum geht’s doch gar nicht! Prüfen Sie selbst: https://www.youtube.com/watch?v=P4q7-wZmn-Q (Rainer M. Gefeller) +++