50 Tage dauert der Sommer noch. Genießen wir die Zeit der Rasenmäher und des Bonifatius, der Politik-Pause und der vielen Genuss- und Kultur-Feste – und Wärme statt Hitze. - Archivfoto: ON/Marius Auth

REGION Echt jetzt! (19)

Sommer, Sonne, Rasenmäher - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

02.08.24 - Haben Sie auch das Gefühl, das nichts mehr passiert? Jedenfalls nichts, was uns wirklich mitreißt. Manche haben sich vielleicht gestern Abend auf dem Domplatz durch den Rave von Kalkbrenner hypnotisieren lassen. Die übrigen flößen sich wohl die sommerliche Fernseh-Soße ein. Olympische Spiele – mmh, ja, aufregend. Oder die zwölfte Tatort-Wiederholung. Wir genießen die rot- und violett glühenden Temperatur-Karten über Hitzerekorde in Europa: Ankara 36 Grad, Athen 37, Palermo 36, Thessaloniki 36, Rom 36, Madrid 39... Schön, schön, da wollen wir nicht hin. Ist es nicht großartig, in Fulda zu hocken und sich den Hitzekoller in der Ferne anzuschauen? Das bisschen Regen nehmen wir als Gratis-Dusche. 50 Tage dauert der Sommer noch. Genießen wir die Zeit der Rasenmäher und des Bonifatius, der Politik-Pause und der vielen Genuss- und Kultur-Feste – und Wärme statt Hitze.

"Sommerzeit, und das Leben ist leicht." So beginnt einer der berühmtesten Songs, der der heißen Jahreszeit die lässige Begleit-Melodie liefert. Bereits 1934 hat George Gershwin "Summertime" komponiert, ein Lied, das den Sommer-Swing in die kühlsten Abendstunden trägt. Sie alle haben dieses Lied gesungen: Billie Holiday war der erste, 1936; danach folgten, in einer unvollständigen Aufzählung, Louis Armstrong und Ella Fitzgerald (1959), Ricky Nelson (1962), Janis Joplin (1968).

Solch ein zeitloses Stück Musik passt prima zu Fulda, wo gerade jetzt die Zeit stehen zu bleiben scheint. Das Sonnenlicht rückt die barocken Häuser und Villen besonders stark ins Bewusstsein und versetzt die Menschen in vergangene Zeiten. Das färbt ab auf die gemütlichen Ecken, die überall inszeniert wurden und sogar auf sommerliche Veranstaltungen wie das stimmungsvolle "Werk, Wein und Jazz" des Groß-Künstlers Franz-Erhard Walther. Das wird alle paar Wochen vor seiner Museums-Villa wie ein Erinnerungsstück an längst vergessene bürgerliche Gartenfeste aufgeführt. Die Besucher versinken in einer Mischung aus Sentimentalität und guter Laune; Musik gibt es auch. Vermutlich ist es kein Schaden, dass statt der einstmals unvermeidbaren Hausherrin Profis die Töne beisteuern, am vergangenen Wochenende war es die herrliche Band Jan Luley’s Next Gen Swing.

"In alle Ewigkeit ist es kurz vor halb vier." Fotos: Rainer M. Gefeller

"Die Besucher von auswärts juckt es sowieso nicht, was die Stunde geschlagen hat. ...

Dass in Fulda die Zeit stehen bleibt, können Sie getrost wörtlich nehmen. In der Karlstraße zum Beispiel überm einstigen "Uhren-Zeun" schauen wir auf ein Riesentrumm von Uhr, deren Zeiger seit Jahren nicht mehr zucken – vielleicht haben sie sich in die festgebackene Zeit verliebt: in alle Ewigkeit ist es kurz vor halb vier. Andere Groß-Uhren in der Stadt erstarren auch schon mal, um dann unversehens doch wieder ihren Aufgaben nachzukommen (zum Beispiel überm "Hans im Glück" am Uniplatz). Am Turm der Christuskirche hingegen hinkte die Uhr über dem Kirchenportal monatelang einige Minuten hinter ihrer tickenden Schwester an der rechten Turmseite her. Vor einigen Tagen haben sie zum Gleichklang zurückgefunden; das macht sich gerade an einem Sakralbau wunderbar. Aber was soll’s: Die Besucher von auswärts juckt es sowieso nicht, was die Stunde geschlagen hat. Hauptsache, man ist pünktlich, sobald die Gastronomie öffnet.

Jetzt gibt’s erst nochmal Musik, Bühne frei für 2raumwohnung. 2002 hat die Sängerin Inga Humpe den "KulturSpiegel" aufgeklärt: "Wir machen Musik für Leute, die die Sinnfrage stellen, die nicht so RTL-geprägt sind." Das hat man fünf Jahre später auch ihrem erfolgreichsten Stück Hochkultur, "36 Grad", angemerkt (33 Wochen in der Hitparade). Der sinn-stiftende Refrain geht so:

36 Grad, und es wird noch heißer
Mach den Beat nie wieder leiser
36 Grad, kein Ventilator
Das Leben kommt mir gar nicht hart vor.

Harter Schnitt. Unser Bundespräsident wandert in den Alpen. Unser Bundes-Medikus Karl Lauterbach urlaubt im Glutofen von Südfrankreich (Oh nein, was er da wohl wieder ausschwitzen wird!) Unser Bundeskanzler Olaf Scholz ist jetzt bereits seit fünf Tagen in den Ferien. Vermissen Sie ihn schon? Die Weltgeschichte macht keinen Urlaub. Während Sie das hier lesen, sterben in der Ukraine und im immer bedrohlicheren Krieg in Nahost Menschen. In den USA balgen sich welche um die Macht, von denen manchem eine psychologische Betreuung vielleicht guttäte – aber das ist derzeit Nebensache. Wen regt es zudem ernsthaft auf, dass die Parteien unserer Bundesregierung in dieser Woche nur noch 30 Prozent der gültigen Stimmen zusammenkratzen würden (laut forsa SPD 15, Grüne 11, FDP 4)? Die Union erreicht gleichfalls nur schlappe 30 Prozent. Noch knapp ein Jahr bis zur Bundestagswahl. Wer soll uns dann regieren? Viel zu viele Menschen denken: ist doch sowieso egal...

Rainer M. Gefeller schreibt für OSTHESSENlNEWS. Grafik: O|N

Lasst uns lieber nach Fulda zurückkehren, bevor uns noch unser Sommergefühl abhandenkommt. James Dent, ein hoch gepriesener amerikanischer Autor, der irgendwann im Alkohol versank, hat uns folgende Beobachtung geschenkt: "Es ist ein perfekter Sommertag, wenn die Sonne scheint, der Wind weht, die Vögel singen und der Rasenmäher kaputt ist." Da hätten wir mal eine Frage: Dürfen Garten-Clowns ihre Krachmaschinen überhaupt anwerfen, wenn sich die Nachbarn gerade zum Mittagsschläfchen niedergelassen haben? Leider ja. In Deutschland gibt’s Regeln für den "Nachbarschaftslärm"; die sind auch in Osthessen gültig. An Werktagen – dazu zählt auch der Samstag – dürfen technisch aufgerüstete Nachbarn zwischen 7 und 20 Uhr nach Herzenslust Rasen mähen, vertikutieren, Löcher bohren und die motorisierte Kettensäge heulen lassen. Mittagsruhe gibt’s eventuell noch in Kur- und Klinikgebieten; wer ohne Siesta nicht sein mag, könnte zum Beispiel nach München ziehen: Dort hat die Stadtverwaltung die bundesweiten Regeln durch eine eigene "Hausarbeits- und Musiklärmverordnung" eingeschränkt – im Bayerischen ist "a Ruah" zwischen 12 und 15 Uhr. In Osthessen wie in der Gesamt-Republik werden immerhin Laubbläser, die mit 110 Dezibel das Krach-Format von Presslufthämmern entwickeln können, ruhiggestellt (zusammen mit ihren quäkenden Kollegen, den Rasentrimmern und Motorsensen). Solche Geräte sind nur zwischen 9 und 13 sowie 15 und 17 Uhr erlaubt, an Sonntagen gar nicht. Aber wir wissen doch, dass die Blas-Maschinen auch in Fulda gern bereits früh um 7 eingesetzt werden. Ob die stolzen Besitzer ahnen, dass dafür Bußgelder bis zu 50.000 Euro aufgerufen werden können?

Mit dieser Gerätekunde wollen wir Sie natürlich nicht in den Sommer entlassen. Hören und schauen Sie sich lieber was Schönes an: Ab dem 22. August soll uns das Open-Air-Spektakel "Bonifatius" den Fuldaer Großheiligen als Musical-Helden näherbringen. Es gibt sogar noch Tickets. Und Sie wissen ja: Ein Sommer ohne Sex ist für die allermeisten wie ein Champagner-Cocktail ohne Schampus. Wie wär’s mit den Pubertäts-Erlebnissen von Peter Maffay? Die winzige Textprobe aus "Und es war Sommer" muss reichen, den Rest mag man sich denken:

Ich war sechzehn und sie einunddreißig
Und über Liebe wusste ich nicht viel.
Sie wusste alles...
Einen schönen Sommer noch! (Rainer M. Gefeller) +++

Falls Sie nachhören möchten:

Summertime mit Louis Armstrong und Ella Fitzgerald: https://www.youtube.com/watch?v=0PASzLDjU_A

Summertime mit Janis Joplin: https://www.youtube.com/watch?v=9pQMb2niOO8

36 Grad von 2raumwohnung: https://www.youtube.com/watch?v=wIRyoh5TClI

Und es war Sommer von Peter Maffay: https://www.youtube.com/watch?v=br7CUrTNq74

 

 

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