Die Nacht über Fulda und der Region – manche aus mehreren Fotos zusammenmontiert: Kraniche, die ISS-Raumstation, ein Flugzeug und Planeten vor dem gewaltigen Mond, Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge von - Fotos: Michael Otto, Künzell

REGION Echt jetzt! (33)

Gute Nacht! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

22.11.24 - Die dunkle Jahreszeit hat echt auch ihre hellen Seiten. Wir zünden Kerzen an. Wir streifen uns unseren ausgeleierten Pullover über. Wir kramen die alten Wollsocken hervor. Wir werden mit Ratschlägen überhäuft, wie wir jetzt endlich mal unser Leben "achtsamer" gestalten können. Wir erinnern uns daran, dass man in Büchern tatsächlich auch lesen kann. Manche wollen uns aber auch raus in die Kälte locken. In der Rhön ist es ja ziemlich hip, sich den bestmöglichen Ausblick auf den Sternenhimmel zu ergattern. Mitunter allerdings bleibt die Aussicht finster – weil fette Wolken uns die Show vermiesen. Oder weil Eindringlinge mit Stirnlampen uns und die gesamte Umwelt blenden. Die Logenplätze im Sternentheater sind zwar gratis, die Vorstellung kann aber leider nicht garantiert werden. Außerdem lassen sich viele auch durch die schönsten Aussichten die Angst vor der "schwarzen Nacht" nicht austreiben. Wollen wir mal gucken, ob wir was zu sehen bekommen?

Bei der Nacht ist so finster im Weg,
Man sieht weder Brücke noch Steg,
Weder Stock noch Stein,
Man stößt sich ans Bein,
Drum geh ich nicht gern allein.

Protest gegen das Blend-Licht in Fulda

Das Gedicht hat sich Achim von Arnim ausgereimt, 1806. Gut 150 Jahre früher hat sein Kollege Andreas Gryphius kurz und verslos festgestellt: "Die Nacht ist niemands Freund." Man muss die beiden Herren verstehen: Zu ihrer Zeit kämpften in den meisten Hütten von Tierfett getränkte Ölfunzeln gegen die Dunkelheit, mit bescheidener Lichtausbeute und vermutlich begleitet von unschönen Gerüchen. Die Nacht war ein Feind, und für viele ist sie’s geblieben. Die Nacht fängt an, wenn die Sonne hinterm Horizont abkippt und hört auf, wenn sie sich wieder blicken lässt. So sehen wir das. Die Strafprozessordnung (Paragraph 104) betrachtet das ganz anders: Nachtruhe ist von 21 bis 6 Uhr, basta. In der Zeit dürfen Polizisten nur in Ausnahmefällen in Privatwohnungen eindringen. Zum Beispiel bei "Gefahr in Verzug". Oder wenn wir einen ausgebüxten Häftling bei uns beherbergen.

Die Farbe der Nacht ist schwarz. Nichts ist dunkler als schwarz, nichts ist so total unbunt. Vieles, was verboten ist, ist auch schwarz: Schwarzarbeit. Schwarzfahren. Schwarzbrennerei. Schwarzgeld. Priester, Architekten, Jazzmusiker und deren Fans, Existenzialisten, Art-Direktoren – sie alle tragen gern schwarze Kleidung. Was soll das bloß? "Schwarz steht für das Mystische, Unbekannte, Dunkle, oft auch Böse", schreibt der Wiener Herrenausstatter Sturm. Da graust es den Kaplan. Wahrscheinlich bevorzugt er die Beschreibung in InStyle: "Menschen, die gerne Schwarz tragen, sind oft künstlerisch, sensibel und leben eher zurückgezogen." Ja, die Welt ist wohl auch in der Einfarbigkeit recht divers, wie man heute sagen sollte...

Die prominenteste Nacht-Schwärmerin der Rhön heißt Sabine Frank. Die Frau kann gar nicht genug kriegen von der dunklen Seite des Lebens. "Für mich ist die Nacht die schönere Hälfte vom Tag", sagt sie, zudem man "nicht so ausgeleuchtet und angeguckt wird wie am Tag". Frau Frank hat vor zwei Jahren, im Dezember 2022, einen Autoren der "Zeit" mit ihrem Enthusiasmus zu einer hinreißenden Reportage ("Hello Darkness") inspiriert. "Zu dieser Jahreszeit sind die Sterne viel geiler", hat sie dort erzählt. Vor allem lässt sich dann auch das "Wintersechseck" blicken, eine himmlische Sensation: Die sechs Sterne blitzen derart hell, dass man sie selbst aus lichtverpesteten Großstädten erkennen kann – um wieviel besser erst in der Dunkelheit der Rhön.

"Dark Sky Reserve"

Sabine Frank ist 1963 in Tann geboren. Elektrisches Licht gab’s damals sogar am Zonenrand, anscheinend aber nicht sehr viel: "In meiner Kindheit hat über der Kreuzung eine Lampe gebambelt und das war’s", erinnert sie sich. Weil das Umgebungslicht so spärlich war, waren Sterne abends allgegenwärtig. Ob sie dort ihre Mission entdeckt hat? Im Sommer vor zehn Jahren wurde das Biosphärenreservat Rhön offiziell als "Dark Sky Reserve" gegründet. Seither hat sich unser Sternenpark bundesweit als Schutzmacht für die Nacht hervorgetan – und Frontfrau ist Sabine Frank. Die Lady ist eine Kämpferin gegen das Blendlaternen-Licht. "Dass verschmutztes Wasser und Lärm eine Bedrohung sind, darin sind sich alle einig. Für

Licht gilt diese Erkenntnis leider noch lange nicht", sagt die Schutz-Beauftragte der Nacht. Grelles, kaltes, überall hinstrahlendes Licht erschwert nicht nur den Blick auf den Sternenhimmel – es raubt uns die Nacht. 40 Kommunen in der Rhön haben sich verpflichtet, ihre Licht-Kanonen abzurüsten. "Lichtverschmutzung" wird minimiert, auch in Gewerbegebieten. Weniger Kunstlicht. Warme Lichtfarben. Abschaltung in der Nacht. In der Rhön wurden "Lichtemissionen" bereits messbar reduziert, die "Himmelshelligkeit" nahm zu. Und der Himmels-Tourismus auch...

"Atme die Zukunft ein. Atme die Vergangenheit aus."

Empfindsame Gemüter brauchen jetzt vielleicht mal eine Denkpause. Lasst uns doch einfach eine Schicht Achtsamkeit einlegen, das wird uns vor allem in dieser düsteren Zeit strengstens empfohlen. Zum Start eine Portion Achtsamkeits-Lyrik: "Atme die Zukunft ein. Atme die Vergangenheit aus." Sind Sie noch wach? Laut "Deutschem Zentrum für Achtsamkeit" kann man nicht früh genug beginnen mit diesem behutsamen Umgang mit uns selbst. Gleich morgens, noch im Bett, sollen wir unsere Gehirne "auf den Achtsamkeitsmodus" einstellen. Man schwingt seine Beine "bewusst aus dem Bett", und das geht so: Erst denkt man ganz doll daran, dass man gleich seine Beine bewegen will. Dann schwingt man los. Dann bleibt man auf der Bettkante hocken. Atmen soll man auch schon wieder. So geht’s durch den Tag: Achtsam Duschen. Achtsam Autofahren. Achtsam Essen und Trinken. Achtsam Türen öffnen und schließen. Wissen Sie was: Meine dunkle Jahreszeit erhellt sowas nicht!

Ja, sind wir denn hier im Disney-Land? Im vergangenen Frühjahr war das Entsetzen groß, als sich unversehens Heerscharen von Eindringlingen von der wunderschönen Werbung in das Rhöner Himmelszelt locken ließen. SUVs wühlten sich ins Schwarze Moor, Wohnmobile schaukelten über Wanderwege, Fernlicht-Kegel fraßen sich durchs Naturschutzgebiet. Die heimische Tierwelt wurde aus dem Schlaf gerissen – Birkhühner, Greifvögel, Rehe, Füchse, Dachse nahm schon Reißaus, bevor die Automobile ihre Alien-artige Besatzung auskippten: Von Kopf bis Fuß auf Safari eingestellte Menschen, das Licht der Stirnlampen zuckte hinter jeden Busch. Um die Sternen-Andacht war’s natürlich geschehen. Frisst der Erfolg die guten Absichten des Biosphären-Reservats? "Dumm gelaufen", schrieb einer auf Facebook. Ein anderer: "Wie kann man nur auf Naturschutz machen, dafür aber keinen umweltschonenden Meter zu Fuß in Kauf nehmen?" Eine Frau schlägt vor, die Wege zum Sternenlicht mit Schranken zu sichern. Dabei könne man dann auch gleich "den ganzen Zirkus an der Wasserkuppe abbauen, samt Lift, Rodelbahn, Hotelhütten..." Kämpfer für radikale Lösungen kommen natürlich bei jedem Thema ans Licht.

Passt auf, all ihr Kinder,
Lasst eure Lichter an, lasst lieber eure Lichter an.
Denn da ist ein Monster, es lebt unter dem Bett.

Erinnern Sie sich an dieses Gefühl? An die Ängste vor Nacht-Gespenstern, vor den Schatten an den Wänden? Santana hat zusammen mit Everlast die nächtlichen Schrecknisse der Kinder in einen Song gefasst ("Put Your Lights On"). Viele Eltern lassen im Kinderzimmer ein Licht brennen, damit die Kleinen sich im Finstern nicht so verloren fühlen. Falsch, sagen Schlafforscher: Künstliche Beleuchtung – vor allem zum Beispiel das "blaue" Handy-Licht – unterdrückt die einlullende Wirkung des Schlafhormons Melatonin. Bei Licht schlafen wir schlechter. Da geht’s uns wie den Tieren da draußen. Für nachtaktive Insekten ist das künstliche Licht zudem eine tödliche Falle. Im Jahr 2000 haben Forscher ermittelt, dass an jeder Straßenlaterne pro Nacht 150 Insekten sterben. In Deutschland gab es damals 6,8 Millionen Straßenlampen. Jeder Mensch, sagte Sabine Frank gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, möge überlegen, wie viel Licht er benötige: "In manchen Fällen ist die Straßenlaterne vor dem Haus schon hell genug." Oder zu hell. In der Fuldaer Brauhausstraße hat jemand seit Jahren einen Hilferuf in seinem Fenster aufgestellt: "Licht aus! ES NERVT." Aber die Lampe gegenüber gehorcht einfach nicht.

Rainer M. Gefeller. Foto: ON

Dabei hat die "Sternenstadt Fulda" die Licht-Orgien vergangener Jahre an vielen Stellen hinter sich gelassen. Eine gedimmte Stadt ist wie ein Wohnzimmer, das fühlt sich gut an. Um den Mond anzuschauen, braucht man nicht mal in die Berge zu fahren – diese gute alte Leuchtscheibe, mit ihren Kratern und Rillen und Gruben ein anheimelnder Geselle, kann einem nachts sogar heimleuchten. Falls die Licht-Batterien in den Großraum-Büros das zulassen: gegen die Leuchtstoffröhren, die mancherorts auch übers Wochenende einsam vor sich hinflackern, hat unsere geliebte Säufersonne halt keine Chance. Da wartet noch Arbeit auf Sie, Frau Frank. Wer auch privat gern im Licht seiner Kronleuchter badet, der sei übrigens ausdrücklich durch einen anonymen Licht-Philosophen gewarnt:

Wer im Glashaus sitzt, sollte sich im Dunkeln ausziehen.

Hier gibt’s den Kinderschreck-Song von Santana und Everlast, "Put Your Lights On": https://www.youtube.com/watch?v=KCBS5EtszYI (Rainer M. Gefeller) +++

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