

Ich mag keine Maulwürfe - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
16.05.25 - Wie schön, eine Grill-Party! Pünktlich stapfen wir in den Garten unserer Freunde – da, knirsch, rammt jemand seine frisch polierten Birkenstock-Sandalen in einen hässlichen graubraunen Erdhaufen. Und dort, zwei Schritte weiter, gleich wieder ein Tritt ins Ungewisse. Was ist hier los?
Der einstige Pracht-Garten nur noch ein verpickelter Acker. Das frische Gemüse hängt schlapp und bräunlich in seinen Beeten – und was ist bloß aus diesem Blumen-Paradies geworden? Die Blüten verwelken zwischen den Erdhügeln, das Gras liegt zerpflügt darnieder. "Ich hasse ihn!" Die Gastgeberin, diese liebenswerte, sanftmütige und tierliebende Lady, hat sich in eine mordlüsterne Kriegerin verwandelt. "Ich bringe ihn um", sagt sie auch noch, während der Gastgeber resigniert die ersten Biere herumreicht. Wen will die Herrin des einstigen Zaubergartens abmurksen? Na, ihn natürlich: den Maulwurf, der sich hier ohne Einladung ins Gelände gewühlt hat.
Wie kann man mit Sympathie betrachtet werden, wenn man Maulwurf genannt wird? Bis zu dieser Party auf dem Acker-Grundstück war der Schlimmste dieser Gattung, der mir begegnet ist, ein ostdeutscher Mann und hieß Günter Guillaume. Sie wissen schon: das war dieser rundliche Kerl mit leicht getönter Agentenbrille und viel zu dickem Krawatten-Knoten, der vom Spießer-Regime der DDR auf unseren Bundeskanzler Willy Brandt angesetzt wurde und seinen Sturz auslöste. "Maulwurfjagd im Kanzleramt" überschrieb der "Spiegel" eine Geschichte über diese Polit-Klamotte. Aber unser Garten-Maulwurf hier, der ist doch von einer ganz anderen Sorte. Oder? Maulwurf ist eine Übersetzung des althochdeutschen Wortes Moltewurf. Molte ist die Erde. Unser Moppel heißt also eigentlich Erdwerfer.
Und ist er nicht ein echter Sympathikus? Ein Kuschel-Liebling der Kinder – den gibt’s in lauter absurden Plüsch-Varianten, sogar von Steiff. Dort nennt man ihn "Diggy" und gerät wie blöd ins Schwärmen: Der "Abenteurer aus der Unterwelt" würde "seine Energie fürs Aufschütten hübscher Maulwurfshügel" nutzen. Ach, wie lieb! Schöner hätten es auch die ergriffensten Naturschützer nicht texten können. Bärbel Rogoschik zum Beispiel, Leiterin eines NABU-Artenschutzzentrums bei Gifhorn, wirbt für Verständnis für den Wühler. Durch sein ständiges Graben würde das Erdreich ganz wunderbar durchlüftet und vermischt – vertikutiert, wie wir Garten-Fachleute sagen. Die Hügel, mit denen er unsere Augen verzückt, seien eine ideale Blumenerde, garantiert torffrei. Im März noch mahnte GEO: "Den Maulwurf sollte man nicht vertreiben, sondern willkommen heißen!"
Versuchen wir’s mal. Maulwurf, zeig dich – wer bist du? Ein "grantiger Einzelgänger", findet der Bayerische Rundfunk. Der Buddelmeister ist gesetzlich geschützt. Jagen, Fangen, Töten verboten. Tier des Jahres 2020. Riesige Schaufelhände, die aussehen wie ungepflegte Männerpfoten: fünf Finger an jeder Hand, unbehaart, rosafarben, grässlich lange Fingernägel, überall kleben Erdreste. Winzige Ohren, noch mickrigere, stecknadelkleine Augen – allerdings müssen wir mit einem Gerücht aufräumen: "Blind wie ein Maulwurf" ist er nicht. Irgendwas kann er sehen, ganz gewiss Licht und Schatten. Die hervorstechende Nase ist sein Spitzenorgan. 15 Zentimeter lang ist er, 100 Gramm schwer, rauscht mit einem Tempo von bis zu vier km/h durch seine Tunnelanlagen. Pro Stunde gräbt er bis zu sieben Meter Gänge (da können sich unsere Straßenbauer mal ein Beispiel drannehmen). Dabei achtet er auf eine saubere Work-Life-Balance: Drei Stunden graben und fressen, drei Stunden schlafen – und dann geht’s wieder von vorne los. Kein Urlaub! Bis zu fünf Jahre hält er durch, dann stirbt er.
Im Winter wirft der Maulwurf besonders viel Erde nach oben. Dann muss er tiefer buddeln als ihm lieb ist – weil sich seine Lieblings-Snacks, die Regenwürmer, auch ganz nach unten verkriechen. Was frisst er noch, der Maulwurf: Engerlinge, Käfer, Langbeinfliegen, Schnaken (bravo!), Kröten, Schnecken, sogar Wühlmaus-Babys. Ein Fleischfresser halt. Hat ihn schon mal jemand angeklagt, weil bei seinen Buddel-Touren nicht nur Blumen, sondern auch die Leib-Speisen unserer Vegetarier verrotten? Die Wurzeln sind dem Bulldozer einfach im Weg. Der spachtelt übrigens pro Tag fast soviel wie er wiegt. In der kulinarischen Welt des Maulis: rund 80 Regenwürmer. Pro Tag!
Im Frühjahr gönnt er sich ein kurzes sexuelles Abenteuer – gleich danach gibt er wieder den Eigenbrötler. Für sein unterirdisches Tunnel-Reich beansprucht er 2.000 Quadratmeter. Seine unterirdische Burg umfasst Ruheräume, Vorratskammern, Kinderzimmer... Und wohin mit dem Schutt, den er unermüdlich herausschaufelt? Ab nach oben. Da stört’s ja niemanden.
Ja von wegen! Gärtner, Bauern, Sportvereine sind ruckartig auf der Palme, wenn ihnen jemand was vom Maulwurf erzählen will. Von groben Jagdtricks raten die Naturschützer naturgemäß ab. Stattdessen könne man zum Beispiel Kaiserkrone anpflanzen. Der Gestank der Blumenzwiebel nach Knoblauch und faulem Fleisch sei für das empfindsame Riechorgan unerträglich. Manche raten auch, Holzpfähle in die Erdhügel zu schlagen und dann immer mal dagegen zu klopfen. Da fühlt sich der Maulwurf plötzlich wie bei einem Hardrock-Konzert in Wacken und flüchtet. Hoffen die Naturschützer. Nützlich soll es auch sein, wenn man Kinder oder Enkel hat, die man auf den maulwurf-verseuchten Rasen scheuchen kann. Das klingt für die Maulwürfe wie eine Elefanten-Herde, die ihn gleich zu Brei zermalmt. Mancher Kleingärtner fährt lieber härteres Geschütz auf. Böller werden in die Einstiegsluken geworfen, Petroleum-getränkte Tücher, Karbid, tote Fische, Mottenkugeln. In der Oberpfalz hat die Polizei in diesem Februar einen Rentner erwischt, der mittels eines Schlauches Autoabgase in die Gänge eines Maulwurfs geleitet hat. Solche Verstöße sind längst kein Kavaliersdelikt mehr, das Bestrafungs-Arsenal soll abschreckend wirken: in Bayern (wie in Hessen) bis zu 50.000 Euro an Bußgeldern und bis zu fünf Jahren Haft in besonders gemeinen Fällen. Aber verzweifelte Gärtner haben keine Angst vor der Justiz! Günter R. Witte, der bedeutendste Maulwurf-Experte im Land, lehrte an der Kasseler Uni und liebte seine Wühlfreunde. Der Biologe, der im vergangenen Jahr starb, hatte für die aufgebrachten Hobby-Gärtner nur milden Spott: "Verlangen Sie nicht von erwachsenen Menschen die Weisheit eines Kindes".
Der Maulwurf kann wühlen wie er will – seinen schlechten Ruf wird er nicht los. Den hat ihm vielleicht bereits 1864 Alfred Brehm eingebrockt, der deutsche Erklär-Bär für Tiersorten aller Art. Maulwürfe, schrieb Brehm, "sind im höchsten Grade unverträgliche, zänkische, bissige, räuberische und mordlustige Thiere, welche selbst den Tiger an Grausamkeit übertreffen und mit Lust einen ihres Gleichen auffressen, sobald er ihnen in den Wurf kommt. Lebt mit keinem einzigen Geschöpf im Frieden, außer mit seinem Weibchen, und mit diesem auch bloß während der Paarungszeit..." Oha! Scheint ja wirklich so zu sein, dass dieser Fürst der Finsternis unsere gesamte gesellschaftliche Ordnung untergraben könnte. Überall zeugt seine Art der Abfall-Entsorgung davon, wie er blühende Landschaften in mondartige Krater-Zonen verwandelt – auch bei uns. Besonders gern gepflegte Rasenflächen. Oder Naturwiesen am Aueweiher. Oder sämtliche Weiden und Felder zwischen Fulda und Kämmerzell, Dirlos und Dipperz. Fußballplätze! Sogar im Rosenbad haben sie Aufschüttungen vollbracht als würde dort ein Moto-Cross-Gelände hergerichtet. Auch wenn man seinen Auswurf plattwalzt oder schubkarrenweise davonschafft, bleiben die Wunden, die der Maulwurf dem gepflegten Garten geschlagen hat, den ganzen Sommer sichtbar.
1870 hat Wilhelm Busch, den manche heutige Pädagogen für einen verklemmten Sadisten halten, eines seiner Brachial-Poeme dem Maulwurf gewidmet. Das müssen Sie gelesen haben! Erste Strophe:
In seinem Garten freudevoll
Geht hier ein Gärtner namens Knoll.
Doch seine Freudigkeit vergeht,
Ein Maulwurf wühlt im Pflanzenbeet.
Der Gärtner Knoll macht sich auf die Jagd, hackt hierhin und dorthin, verstümmelt den Garten und sich selbst, bis Busch feierlich das grausige Finale dichtet:
Doch Knoll, der sich emporgerafft,
beraubt ihn seiner Lebenskraft.
Da liegt der schwarze Bösewicht
Und wühlte gern und kann doch nicht;
Denn hinderlich, wie überall,
ist hier der eigne Todesfall.
Stellen Sie sich einen Moment vor, der Herr Maulwurf hätte uns zum Dinner eingeladen. Natürlich ist es etwas eng, es ist schummrig. Aber am Ziel offenbart unsere iPhone-Lampe ein Reich der Köstlichkeiten – eine Kammer voller wimmelnder aber leider kopfloser Regenwürmer. Herr Maulwurf sorgt vor. Was der Vielfraß nicht sofort vertilgen kann, kommt in das Vorrats-Verlies. Selbstverständlich muss der Kopf erst weg, damit das Getier nicht flüchten kann. Bleibt aber superfrisch, weil lebendig... Laut Wikipedia wurden in solchen Vorratskammern schon mal 790 Regenwürmer gezählt. Eine Frage an den Naturschutz: hätten die Würmer nicht auch wunderbar unseren Garten vertikutieren können, ganz ohne Erdaushub? Und ohne Barbarei? Ich möchte diese Geschichte nicht ohne ein Geständnis beenden: Ich glaube, der Maulwurf wird nicht mein Freund. Ich mag ihn nicht. (Rainer M. Gefeller) +++
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