

Oh Gott, diese Kirche! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
04.07.25 - Sind Sie noch in der Kirche? Was hält Sie noch dort? Pardon, das sind unverschämte Fragen – das geht ja niemanden was an. Aber jetzt, da auch das Bistum Fulda sich bis zur Kinnlade in einem Morast von Missbrauch, Lüge, Vertuschung und, ja: Menschenverachtung wiederfindet, drängen sich manche Fragen auf. Was ist da passiert in unserer Nachbarschaft? Was ist los mit der Kirche, die vor allem in dieser Region bestimmend war für das Leben der meisten Menschen? Verzeihung, aber angesichts der Grausamkeit und Traurigkeit dieser Verstrickungen ist mir die übliche Humortaktung meiner Kolumne abhandengekommen. Beim nächsten Mal wieder, versprochen.
Es ist erst eine Woche her, da saß Michael Gerber, Bischof von Fulda, vor den hiesigen Pressevertretern wie ein Geprügelter. Er übernahm Verantwortung für etwas, was er nicht zu verantworten hat. Damals ahnte kein Außenstehender, dass er selbst schwer erkrankt war. Vor ihm auf dem Tisch lag, 320 Seiten dick, der schonungslose und an vielen Stellen kaum zu ertragende Bericht über das, was eine Kommission über Missbrauch an Kindern in der katholischen Kirche unserer Region ermittelt hat. Gerber ist erst seit 2019 Bischof in Fulda; er hat die Schande geerbt. Der Missbrauchs-Bericht nennt Namen. Vor allem und immer wieder: Weihbischof Johannes Kapp. Zwischen 1977 und 2003 war Kapp als Personal-Verantwortlicher auch Ausputzer für die schmutzigen Ecken des Bistums. "Vertuschung als Strategie und Fürsorge für die Täter" – so beschreibt der Bericht Kapps Geheim-Job, den er mit großer Effektivität ausfüllte. Der Weihbischof war ein höchst angesehener, von vielen Gläubigen verehrter Mann.
Und was war mit den Bischöfen? Einige Beispiele aus ihrem Sündenregister: Adolf Bolte, Bischof von 1958 bis 1974, bat schon mal den Kölner Kardinal Frings um Mithilfe bei der Versetzung eines Pfarrers wegen "starker Verdachtsmomente betr. § 175". Der im Kaiserreich eingeführte "Schwulen-Paragraph" stellte "widernatürliche Unzucht zwischen Männern" unter Strafe. In Kirchen-Kreisen wurde der "175" auch gern als harmlosere Umschreibung für Kindsmissbrauch verwendet. Eduard Schick, von 1977 bis 1986 Bischof, veranlasste auf Bitten eines Amtskollegen die Aufnahme eines Geistlichen in eine hiesige Pfarrei – der Mann hatte bereits eine Haftstrafe abgesessen, ebenfalls als "175er". In seinem ersten Amtsjahr, 2019, versetzte Bischof Gerber einen Geistlichen in den Ruhestand, der eine Art Missbrauchs-Karriere hinter sich hatte: 1980 von Bischof Schick zum Priester geweiht, obwohl er und sein Weihbischof vor den gefährlichen "Neigungen" des Mannes gewarnt waren. 15 Jahre später wurde der Priester wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern rechtskräftig verurteilt. 2010 leitete Bischof Algermissen wegen weiterer alter Fälle eine neue Untersuchung gegen ihn ein – die endete mit dem Befund: Verjährt. Für den Einsatz als Kranken- und Altenheimseelsorger war der Mann aus Sicht der Bistums-Gewaltigen noch verwendbar. Erst der Essener Bischof Overbeck untersagte ihm 2019, als Priester tätig zu sein – ihm reichte die 35 Jahre zurückliegende Verurteilung als Begründung. Michael Gerber wies dem Sünder dann endgültig den Weg zum Kirchenausgang.
Irgendwann in den 80er Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten. Der Missbrauch durch Geistliche hatte noch längst nicht die Schlagzeilen der Medien erreicht – mir reichte Johannes Dyba als Auslöser. Der Fuldaer Bischof war zweifellos ein charismatischer, redegewandter Kirchenvertreter. Ein kämpferischer und äußerst konservativer Mann, der mit Wonne verbal um sich schlug. "Ayatollah von Fulda" nannten ihn die einen – viele Gläubige allerdings verehrten ihn, weil er für seine Überzeugungen kämpfte und sich nicht in salbungsvollen Predigten verlor. Bei seinem Amtsantritt hatte Dyba versprochen, er wolle "nicht verschämt, sondern unverschämt katholisch" sein. So weit, so gut. Aber dann legte er los. Abtreibung bezeichnete er als "Kinderholocaust", eine demokratisierte Kirche sei "eine Kirche ohne Gott". Und dann noch diese Homosexuellen: "hergelaufene Schwule", "randalierende AIDS-Positive", "eine widernatürliche Verirrung". Selbst die Fuldaer Zeitung zweifelte Anfang der 90er Jahre die Menschenliebe des Bischofs an. Da hatte ich mein Urteil bereits gefällt: es war mir unerträglich, von einem "guten Hirten" geleitet zu werden, der derart unbarmherzig andere Menschen als minderwertig einstufte.
Der Missbrauch von Kindern ist eine furchtbare Seuche. Sie wütet vor allem dort, wo Kinder in Obhut gegeben werden und in Abhängigkeit geraten – in Schulen, Internaten und Sportvereinen. Die größte Wut aber richtet sich gegen die Kirchen. Innerhalb weniger Jahre, notiert der Fuldaer Missbrauchsbericht, sei die katholische Kirche im öffentlichen Ansehen von einer moralischen Instanz zu einer Täterorganisation verkommen. Bischof Dyba, der die Kirchenglocken läuten ließ als Protest gegen Abtreibungen, versteckte sich hinter seinem dienstbaren Herrn Kapp, wenn es um die "Abwicklung" von Missbrauchs-Fällen ging. Die Historikerin Birgit Aschmann fragt anklagend, was es "für Betroffene und deren Familien bedeutet, wenn von dem Priester, der die göttliche Allmacht repräsentierte, die traumatisierende Gewalterfahrung ausging." Das hat zu viele Kirchen-Manager offenkundig wenig interessiert. Aus dem Untersuchungsbericht: "Die Wahrheit durfte nicht ans Licht, um die Ehre des Berufstandes der Kleriker im Allgemeinen sowie eines beschuldigten Pfarrers im Besonderen nicht zu beflecken."
Der Fuldaer Kirchen-Bericht offenbart eine Verwahrlosung und Verbrecher-Gesinnung unter manchen Priestern, die uns sonst nur aus den schlimmsten Abgründen des Internets bekannt werden. Die Würdenträger machten sich ihre Opfer nach dem Vorbild von Mafiamethoden gefügig. Erst das Schmeicheln: "Du bist von Gott auserwählt". Dann die Erpressung: "Gott straft dich, wenn du das erzählst." Die Täter fühlten sich, leider zu Recht, sicher im "Schoß der Kirche" – Kirchenobere standen wie Komplizen bereit, um die Spuren zu verwischen. Die Fuldaer Kommission äußert den Verdacht, dass auch Dyba sich an der Versetzung von Missbrauchsbeschuldigten beteiligt habe; "manifeste Belege" seien allerdings nicht gefunden worden. Sein Nachfolger Gerber sieht gleichwohl Führungsversagen bei seinem Vorgänger: "Ich habe als Bischof eine Letztverantwortung und vor allem auch eine moralische Verantwortung für solche Vorgänge."
Könnten Männer mit einem Amtsverständnis wie Bolte, Dyba, Schick oder Kapp heute noch in höchste Kirchenämter gelangen? Wenn’s nach dem neuen Papst Leo XIV. ginge, vermutlich nicht. Vor einigen Tagen formulierte er im Petersdom sein Anforderungsprofil an die heutigen Bischöfe. Ein paar Auszüge aus "Vatikan-News": Der Bischof, sagt der Papst, solle "ein Mann der Hoffnung sein": "Besonders wenn der Weg des Volkes beschwerlich wird, hilft der Hirte kraft göttlicher Tugend dabei, nicht zu verzweifeln: nicht mit Worten, sondern durch Nähe. Wenn Familien übermäßig belastet sind und die öffentlichen Einrichtungen sie nicht angemessen unterstützen; wenn junge Menschen enttäuscht sind von trügerischen Botschaften; wenn die Älteren und die Menschen mit schweren Behinderungen sich verlassen fühlen, ist der Bischof ihnen nahe."
"Um Zeugnis für Jesus, den Herrn, zu geben, lebt der Hirte in evangeliumsgemäßer Armut. Er hat einen einfachen, nüchternen und großherzigen Lebensstil, der würdevoll ist und zugleich zu den Lebensbedingungen des Großteiles seines Volkes passt. Die Armen müssen in ihm einen Vater und einen Bruder sehen können und sich nicht unwohl fühlen, wenn sie ihm begegnen oder sein Haus betreten. Er hängt persönlich nicht an Reichtümern und lässt sich wegen dieser oder anderer Formen von Macht nicht auf Günstlingswirtschaft ein."
"Er muss fest und entschlossen sein, wenn es darum geht, Situationen, die einen Skandal hervorrufen können, und jeden Fall von Missbrauch, insbesondere gegenüber Minderjährigen, gemäß den geltenden Bestimmungen anzugehen."
Der Bischof als Vorbild, als besserer Mensch – das ist die päpstliche Botschaft. Können menschliche, mitfühlende und helfende Bischöfe und Geistliche ein Ausweg sein für eine Kirche, die sich selbst an den Rand des Untergangs manövriert hat? Der Zustand der Katholischen Kirche ist erbärmlich. 2024 wurden in Deutschland erstmals weniger als 20 Millionen Katholiken registriert, acht Millionen weniger als im Rekordjahr 1990. Das Bistum Fulda zählte im vergangenen Jahr noch 326.833 Kirchenmitglieder, 10.879 weniger als im Vorjahr; 5.345 davon waren ausgetreten. 2018 listete eine bundesweite Missbrauchsstudie, die auf dem Bischofstag in Fulda vorgelegt wurde, 3.677 Opfer und 1.677 Täter auf. Seither sind die Zahlen immer weiter angeschwollen; inzwischen schätzt Jörg Michael Fegert, ein anerkannter Missbrauchs-Experte, die Zahl der Fälle sowohl in der katholischen als auch der evangelischen Kirche auf jeweils über 100.000. Nur noch elf Prozent der Deutschen vertrauen laut einer Forsa-Befragung der Katholischen Kirche (2017 waren es noch 29%). 96 Prozent der Katholiken sind überzeugt: Ihre Kirche muss sich grundlegend ändern. Nur vier Prozent der Katholiken bezeichnen sich selbst als gläubig und fühlen sich ihrer Kirche noch eng verbunden. 75 Prozent können "einen Austritt nicht ausschließen".
Wären die Kirchenoberen Unternehmens-Manager, würden sie zu dem Schluss kommen: Wenn wir die Kirche retten wollen, müssen wir uns erstmal um unsere zweifelnden Gläubigen kümmern. Das wird ein langer, harter Ritt. Wie weckt man einen frischen Geist in einer mutlosen Institution? Woher sollen die neuen Geistlichen kommen (auch die Kirche leidet unter Fachkräfte-Mangel). Wie flößt man den enttäuschten, verbitterten, abgetauchten Mitgliedern neues Vertrauen ein? Und wie gibt man den vielen anständigen Priestern, die an ihrer Kirche verzweifeln, Kraft?
Gegenüber vom Fuldaer Stadtschloss reckt eine beinahe vier Meter hohe Bronzefigur ein Kreuz in die Höhe. Zu dieser bärtigen Denkmalsfigur muss man aufschauen, wenn man sie anschauen will: Bonifatius – der Mann, der den Deutschen den christlichen Glauben bringen sollte. Er nahm den Auftrag an, obwohl er als "Mission Impossible" galt im Reich der Germanen, die so viele Götter anbeteten. Braucht man so einen jetzt wieder, einen "Bonifatius 2.0"? Einen, der die Kirche selbst missioniert? "Steh auf, wenn du am Boden liegst". Der Song der Toten Hosen könnte schon mal die Richtung vorgeben. Viele Katholiken wissen übrigens immer noch, wie ein christlich geprägtes Leben funktioniert: 49 Prozent engagieren sich sozial, das ist eine irdische Heerschar von vielen Millionen Helfern.
Vorgestern ist Bischof Gerber wegen einer Krebserkrankung operiert worden. Er ist für viele Fuldaer ein Mann der Hoffnung, wie Papst Leo ihn beschrieben hat. Die Kirche braucht Menschen wie ihn, wenn sie wieder genesen soll. Wir wünschen dem Bischof und dem Menschen Gerber Kraft für sich selbst – und eine vollständige Gesundung. (Rainer M. Gefeller) +++
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