Optisch immer noch eine prägende Kraft: Die Kirche in Stadt und Land – , Frauenberg, , . - Fotos: Michael Otto, Künzell

REGION Echt jetzt! (53)

Ruhe, bitte - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

18.04.25 - Stille. Kennen wir das überhaupt noch? Kriegen wir das noch hin, einfach mal still zu sein? Einfach mal die Klappe halten, Radio und Fernseher aus, Smartphone stumm schalten, uns ein paar Gedanken gönnen? Nachtigall, ich weiß, woher der Wind weht, wird mir jetzt vielleicht mancher entgegenhalten. Jawohl, ertappt – wir knöpfen uns mal den Karfreitag vor. Nicht den "Car-Freitag", diese Schrumpfhirn-Veranstaltung von Menschen, die ihre Autos mehr lieben als sich selbst. Wir hingegen wollen es heute mal kein bisschen scheppern lassen. Sind wir überhaupt noch in Fulda? Wo ist das Glockenläuten, das in uns übergegangen ist wie das Ein- und Ausatmen?

Dom.

Karfreitag. Braucht man diesen Feiertag überhaupt noch? Die Christen betrauern heute, dass Jesus Christus am Kreuz gestorben ist. Das ist berührend – aber müssen deshalb alle anderen Menschen ebenfalls trauern? Im christlich geprägten Deutschland sind Katholiken und Protestanten inzwischen in der Minderheit. Allein 2024 haben beide Kirchen zusammen über eine Million Mitglieder verloren. Ende des Jahres gab es in Deutschland noch 19,77 Millionen Katholiken (24 Prozent der Gesamtbevölkerung) und knapp 18 Millionen Protestanten (21 Prozent). Die "Konfessionslosen" kamen auf 47 Prozent, Muslime und "andere Religionszugehörige" lagen bei jeweils 4 Prozent. Fulda ist der einzige Landkreis in Hessen, in dem die Katholiken noch die Mehrheit stellen.

An Karfreitag soll das Land zur Ruhe kommen, so verfügt es das Feiertagsgesetz. Kein Holzhacken, kein Rasenmähen, keine Grillfeste, keine Konzerte, keine Box-Turniere. Die Geschäfte sind dicht, es darf nicht getanzt werden. Das Tanzverbot in der Karwoche gilt in der gesamten Republik, ist allerdings nicht überall gleich streng. Am kürzesten ist die Tanzpause in Bremen (6 bis 21 Uhr am Karfreitag) und natürlich in Berlin (4 bis 21 Uhr). 84 Stunden lang dauert die Feiertagsruhe in Rheinland-Pfalz (von 4 Uhr am Gründonnerstag bis 16 Uhr am Ostersonntag). In Hessen soll von Gründonnerstag, 4 Uhr, bis Karsamstag, 24 Uhr, Ruhe herrschen. Musik darf nicht lauter sein als 50 Dezibel: Zimmerlautstärke. Lautstärke wird im Bundes-Immissionsschutzgesetz in Dezibel gemessen. 30 Dezibel: Blätterrauschen, leichter Regen. 50 Dezibel: normales Gespräch in der Wohnung (ohne kreischendes Gelächter!). 70 Dezibel: Bürolärm. 80 Dezibel: Staubsauger. 100 Dezibel: Rasenmäher & Co. Und was bedeutet Zimmerlautstärke im Auto? Wir wissen doch alle, dass eine hormonelle Überproduktion den jungen Kerlen am Steuer schonmal die Gehörgänge verkleben kann. Aber solange der Krach niemanden ablenkt, hat "der Gesetzgeber" nichts zu meckern. Haha! Sie haben doch auch schon gesehen, wie die wummernden Bässe den Hochgeschwindigkeits-Fahrern die Köpfe hin und her werfen!

Ganz junge Leser (die vermutlich in dieser Kolumne in der Minderheit sind) sind vielleicht empört über die Freizeit-Diktatur, in der sie leben und leiden müssen. Liebe jüngere Mitbürgerinnen und Mitbürger: kann man ernsthaft Schaden nehmen, wenn man ein paar Stunden dazu verdammt ist, die Füße still zu halten? Ist unsere Republik nicht sowieso ein Rummelplatz, der keinen Anfang und kein Ende hat? Früh am Morgen weckt uns unsere Smart-Watch mit der Diagnose über unsere Schlafqualität. Es folgen: das beständige Wimmern des Smart-Phones, die unerträgliche Heiterkeit von Radio-Moderatoren. Das Bimmeln, Hupen, Keifen, Surren und all diese sonstigen Geräusche, die in uns eindringen, ohne dass wir sie wahrnehmen. In der Wohnung gegenüber funkt noch oder schon wieder der drei Quadratmeter große Fernseh-Flach(!)-Bildschirm. Herrschaften, wäre es nicht schön, hin und wieder auf einer Insel zu sitzen, dem leisen Schnaufen der Wellen oder der Gemahlin zu lauschen und sonst NICHTS zu hören?

Frauenberg,

Eine Sendepause würde auch der Dauerbeschallung von der anderen Seite des atlantischen Ozeans guttun. Wer da alle auf uns einbrüllt: Menschen, die ihre Stimmbänder zu lange in Gift gebadet haben. Vor allem Männer, die endlich mal ihre Aggro-Phantasien, ihren Hass, ihre Protzsucht und ihre minderwertige Rachsucht austoben dürfen. Sie alle eint, dass sie leider an die Macht gelangt sind. Geben sich zugleich derart gottesfürchtig, dass ihnen das Kreuzzeichen jederzeit locker von der Hand geht – gleich danach wird wieder losgepestet. Also, ihr Polit-Christen da drüben: Heute ist Karfreitag, da herrscht Ruhe.

Wir haben gottlob andere Sorgen. Immerhin hat der Mann, der unser Kanzler werden will, sich während der Ostertage eine Auszeit verordnet – vielleicht auch ein wenig Einkehr? Kaum haben jene, die uns bald regieren wollen, sich selbst und ihren Koalitionsvertrag gefeiert, da nörgeln sie schon wieder aneinander rum. Manches, was da aufgeschrieben wurde, sei keinesfalls "fix", sagte Friedrich Merz dieser Tage. Einige Juso-Landesverbände wollen eine Einigung sowieso verhindern, in der CDU geben etliche ihrem Beiß-Reflex gegen "die Sozen" freien Lauf. Ja, ist denn schon wieder Ampel? Wie wär’s mit einem winzigen Rest von Aufbruchstimmung und Staats-Verantwortung? Wie wär’s mit einer Sprech-Pause? In den 70ern wärt ihr vielleicht auf einer Klotür einer passenden Karfreitags-Botschaft begegnet: "Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!"

St. Lioba in Petersberg.

Schluss mit Politik, sowas sollte am stillen Feiertag auch verboten werden. Wir können die Rund-um-die-Uhr-Bedröhnung übrigens auf keinen Fall dem Internet in die Schuhe schieben, jedenfalls nicht ausschließlich. Wer Mitte des vergangenen Jahrhunderts schon bei uns war, erinnert sich bestimmt an eine eingelullte Lebensform. Bis 1963 gab’s nur ein Fernseh-Programm, "das Erste". Gesendet wurde ab 17 Uhr. 20 Uhr Tagesschau. Spätestens um Mitternacht war Sendeschluss. Am 1. April 1963 begann das Terror-Regime der freien Auswahl: plötzlich gab’s auch noch das ZDF. Aber nachts hatten wir Ruhe! Wenn wir ermattet vom Tagwerk und geplättet von den mitreißenden Programmen vorm Fernseher einschliefen, wachte das Testbild über uns. Irgendwann wurden wir wieder wach, weil es fiepte. Die hypnotisierenden Grafiken, die der Beurteilung der Bildqualität dienten, wurden in den 90ern überflüssig; der Hessische Rundfunk stoppte das Testbild als letzter Sender Ende 1997. Danach sollten endlose Eisenbahnfahrten oder sinnlos herumschwänzelnde Fische in Aquarien das deutsche Volk in den Schlaf bringen. Jetzt ist sowieso alles lauter, greller, gröber und leider endlos. Der Komiker Torsten Sträter fordert Schluss mit der Dauerbeschallung und will "das gute alte Testbild zurück". 1991 wurde die Kult-Grafik für Udo Jürgens zu einem echten Nacht-Kameraden, wie wir dem netten Lied "Im Kühlschrank brennt noch Licht" entnehmen können.

Zum Schlafen zu wach
Zum Wachsein zu müde
Das Testbild ist ein schwacher Trost:
Nur blasses Geflimmer,
Nur ich und das Zimmer.
Ein Glas ist halbleer
Und ich sage mir: "Prost!"

Kreuzberg.

Stille. Die Kirchenglocken schweigen. Karfreitag ist für die Christen ein Trauertag, für die Protestanten sogar der höchste Feiertag. Am Freitag, 3. April im Jahr 33 nach Chr., soll Jesus am Kreuz gestorben sein, "in der neunten Stunde". Nach unserer heutigen Zeit-Bestimmung ist das 15 Uhr. Die meisten katholischen Gottesdienste beginnen am Karfreitag um diese Zeit, auch im Fuldaer Dom. In manchen Orten sind "Klapperkinder" unterwegs und lassen ihre Ratschen rotieren, um die Gläubigen anstelle der Glocken in die Kirchen zu rufen – morgens um sechs zum ersten Mal. Da liegen die richtig lauten Kollegen noch flach. Die Autos wurden schon gestern poliert und frisiert. Bald rollen sie wieder Richtung Fulda oder Limburg oder wo immer sie sich Aufmerksamkeit versprechen. Die Polizei wartet bereits. Viele werden nach ihrem Auftritt frustriert den Heimweg antreten, ohne Auto und ohne Führerschein.

In etlichen Städten wird auch wieder für das Recht aufs Tanzen demonstriert; sollten wir nicht ihren Mut bewundern? Ach Nö! Der Techno-Club "Sisyphos", früher eine Fabrik für Hundekuchen in Berlin, feiert "Prostern", vom Abend des gestrigen Gründonnerstag bis Dienstag nach Ostern. Bereits 2008 versorgte der DJ Tobias Lützenkirchen die nimmersatte Partyszene mit dem dazu passenden Tanz-Hit "3Tage wach". Der "Spiegel" bezeichnete das Werk als Drogenhymne. Irgendwas sollte man wohl genommen haben, wenn man solche Texte ertragen wollte: "Pille, Palle, alle prall, druff, druff, druff, druff, druff." Vielleicht sollten wir doch lieber mal einen Kirchgang einplanen? Ein Lieblings-Song meiner Mutter war eine Hymne für das Stillsein – "Il Silenzio" von dem italienischen Trompeter Nini Rosso aus dem Jahr 1964. Das können Sie sich ja mal anhören, auf Youtube. Aber ganz leise, bitte.

Rainer M. Gefeller Archivfoto: ON/Hendrik Urbin

Die New York Times notierte übrigens vor einigen Tagen, dass viele Amerikaner derzeit außer Smartphones auch massenhaft Weihnachtsgeschenke einkaufen. Wer weiß, was der super-vertrauenswürdige Staatenlenker im Weißen Haus sich noch alles einfallen lässt! "Zölle, Zölle, Zölle" würde Wolfgang Petry vielleicht heutzutage singen. Haben wir’s gut, wir konzentrieren uns erstmal aufs Osterfest. Entspannte, seelenvolle Feiertage!

Hier hören Sie die Hymne an die Stille:

Nini Rosso, Il Silenzio, 1964, https://www.youtube.com/watch?v=tFKFDujqO4s (Rainer M. Gefeller) +++

Echt Jetzt! - weitere Artikel




























































↓↓ alle 59 Artikel anzeigen ↓↓


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum
Cookie-Einstellungen anpassen

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Whatsapp
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön