Aperol Spritz gibt’s sogar für kühle Tage. - Foto: Ben Wiens für Unsplash

REGION Echt jetzt! (54)

Was trinken wir heute? - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

25.04.25 - Welch ein Gelächter in den Bars und Cafés: Aperol Spritz, wurde in diesem Frühling verkündet, sei "am Ende". Out, vorbei, schmeckt nicht mehr. Ach was – warum hat das denn der Kundschaft niemand gesagt?! Und welch ein Heiterkeits-Tsunami rüttelt unsere Senioren: Selbst ein winzigkleines Gläschen Wein oder Bier am Tag kann unser Leben verkürzen, warnt neuerdings die Weltgesundheits-Organisation. Gott wie furchtbar, hüstelt die Generation 80plus, um dann abermals loszuprusten. "Kein Alkohol ist auch keine Lösung", haben die Toten Hosen bereits vor über 20 Jahren gesungen. Zwei Drittel der Erwachsenen in Deutschland sehen das auch so. Was nun?

Barmann mixt Spritz Foto: Kike Salazar für Unsplash

Aperol Spritz ist das Sommergetränk Europas. Vor zwei Jahren, hat ein Abrechnungssystem der Gastro-Branche vorgerechnet, waren 49 Prozent aller Mix-Drinks in Deutschland Aperol. Das Getränk hat einen entscheidenden Vorteil: Man schlürft es das ganze Jahr. Das bonbonfarbene Gesöff wird gern wie folgt serviert: in ein Glas voller Eiswürfel wird Aperol mit Prosecco (das ist der Spritz!) und Sodawasser gemixt. Aperol soll bereits 1919 von den Brüdern Luigi und Silvio Barbieri, die die Likörfabrik ihres Papas in Padua geerbt hatten, erfunden worden sein. Sie mischten Rhabarber und Enzian mit Bitterorange – fertig war der herbe Grundstoff für das Erfolgsgetränk. Seit vielen Jahren fühlt sich die Zunft der Barkeeper durch den Simpel-Cocktail unterfordert. Mindestens ebenso lange läuten Journalisten dem Drink das Sterbeglöckchen. "Kein gutes Getränk", befand die New York Times 2019. "Muss es immer Aperol sein", seufzte die Süddeutsche im vergangenen Jahr. "Vergessen Sie Aperol Spritz", forderte Harper’s Bazaar in diesem Januar. In dieser Saison versuchen es die Sozialen Netzwerke, den Aperol ein für alle Mal in den Gully zu kippen: das Gerücht geht um, die Farbstoffe in dem Drink seien krebserregend. Da lacht die Aperol-Gemeinde. Wen jucken schon die Warnungen der Gesundheits-Aufklärer?

Dabei werden die Alarmrufe jedes Jahr energischer. Im September 2024 hat Karl Lauterbachs Gesundheits-Ministerium mitgeteilt, 7,9 Millionen Deutsche zwischen 18 und 64 konsumierten Alkohol "in gesundheitlich riskanter Form". Neun Millionen seien sogar derart dem Alkohol verfallen, dass körperlich, psychisch, sozial und beruflich die Folgen unübersehbar seien – sie hätten die Kontrolle "über die Menge des konsumierten Alkohols" verloren. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt den Total-Verzicht. Wurde nicht vor wenigen Jahren noch das tägliche Glas Wein aus gesundheitlichen Gründen empfohlen? Gilt nicht mehr. Die neue Erkenntnis der Medizinforschung: Risikofreien Alkoholkonsum gibt es nicht. Die Gefahren-Liste ist lang: Die Leber! Das Herz! Die Nerven! Die Bauchspeicheldrüse! Die Stürze, die Kopfschmerzen, der Schwindel! Und vor allem: todbringende Krankheiten. Haben wir nicht alle schon gute Freunde verloren, die an den Folgen übermäßiger Trinkerei zugrunde gegangen sind? Ein hartes Sterben ist das, viele trifft es viel zu früh. Wer Alkohol trinkt, muss um die Gefahr wissen. Zwei Drittel der Erwachsenen und ein Drittel der Jugendlichen ab 15 haben 2022 Alkohol getrunken. Manche kennen ihre Grenzen nicht, und natürlich müssen wir die Jüngsten schützen. Aber ist deshalb jeder, der an einem Gläschen Rotwein nippt, gleich ein Säufer? Sollen alle, die sich zu ihrem Feierabend-Genuss bekennen, demnächst ab ins Trockendock? Sind bald die abschreckenden Fotos einer Leber-Zirrhose Pflicht auf allen Wein- und Bier-Flaschen?

Ein Hochstift-Deckel Fotos (2): Annemarie Gefeller

Ralf heißt der vermutlich dienstälteste Gastwirt in Fulda; er bewirtet die ehrwürdige Trinkstube "Eck". "Das hier war mal eine anständige Spelunke", brach es irgendwann in gespieltem Unmut aus ihm heraus. Soeben war vom ersten Tisch rechts hinterm Eingang eine Bestellung eingegangen: Zwei Tee, ein Kaffee, ein Glas Leitungswasser. Ach ja, an den Nachmittagen läuft der Alk auch hier nicht mehr so wie früher. Die meisten der alten Recken kommen nicht mehr her, um ihren beißenden Durst zu löschen; sie hocken einfach da, lauschen den nicht enden wollenden Gitarren-Soli, reden. Und trinken nichts, was der Leber Qual bereiten könnte. "Achtzehn Uhr achtundvierzig", sagt der Wirt. Steht auf und zieht den Hebel vom Bier-Zapfhahn nach unten. Was, wie, fragt ein begriffsstutziger Kunde (okay, das war ich). "Achtzehn Uhr achtundvierzig", wiederholt der Wirt und hält einen Bierdeckel in die Höhe. "Hochstift Pils", steht da, und: "Seit 1848." Andere trinken ihr erstes Glas am Tag frühestens, wenn’s dunkel wird oder die Uhr an der Stadtpfarrkirche sechsmal schlägt. Für Ralph gilt das 18-Uhr-48-Gesetz. Zur Bekräftigung ist eine Wanduhr neben dem Tresen für immer auf dieser Zeit festgefroren. Ein kontrollierter Bier-Konsum braucht seine stabilen Zeiten.

Die Uhr im Eck

1848 versuchten sich die Deutschen an einer Revolution für eine liberale, bürgerlich-demokratische Nation. Aufbruch gab es überall im Land, in Fulda zum Beispiel wurde am 6. April die Turngemeinde Fulda gegründet, mit gleichfalls revolutionärer Zielsetzung. Im Reich der Kleinstaaten hatten die Behörden alles unter Kontrolle, auch das Bierbrauen. Aber es war 1848, man kämpfte gegen die Despotie des Adels, gegen kleinkrämerische Regelwut und für eine liberale Gesellschaft. Freies Bier für freie Bürger, zum Beispiel. Die Leipziger Straße lag damals noch vor den Toren der Stadt, im Grünen. Dort baute Joseph Wißner einen Felsenkeller. Solche in Stein gehauene Keller hatten einen entscheidenden Vorteil: eine gleichmäßige Kühle von 8 bis zwölf Grad. Gerade richtig fürs Bier! Die Fuldaer pilgerten in den dortigen Biergarten. Die heutige Hochstift-Brauerei ist also ein Kind der 48er Revolution. Die alte Ordnung, die sich die Menschen damals erkämpft hatten, wurde bekanntlich in den Jahren der Restauration wieder hergestellt. Aber das 48er Bier aus Fulda gibt’s immer noch.

Mittelalterliche Bierbrauer Holzschnitt von Jost Amann, 1568. Wikimedia

Bier wird in unserer Region schon seit dem Spätmittelalter gezischt. Gottfried Rehm, einer der bekanntesten Heimatforscher, zitierte in seinem Buch "Die Rhön in alten Zeiten" eine amtliche Bewertung aus dem Jahr 1809: "Bier wird bloß für die Stadt Fuld gut gebraut, auch in einigen Klöstern ist es vortrefflich. Auf den Dörfern ist es sehr schlecht." Seit 1763 ließ der Fuldaer Magistrat bereits Qualitätskontrollen durchführen. Ferdinand Rheinisch, viele Jahre lang Amts- und Gerichtsarzt in Tann und Hilders, urteilte 1860: "Die beiden großen Brauereien zu Batten und Tann liefern ein gleichförmiges immer gutes Bier." In den übrigen 14 bis 16 Mini-Brauereien hingegen schwankte die Qualität, "wie es der Brauer gerade trifft" – mitunter war das Bier "ein der Gesundheit nachtheiliges". Viele Wirte wurden ihre Schoppen gar nicht los; in manchen Kneipen wurden pro Woche "kaum drei Maß getrunken". Rheinisch äußert Mitgefühl mit dem Gastwirt von Neuswarts, der im Bezirk "das gehaltvollste und wohlschmeckendste" Bier braute, aber in einem Vierteljahr "von sieben Eimern kaum die Hälfte" an den Mann brachte.

Graf Schnaps: Johann Eustach von Schlitz, Stich von 1790 Foto: Wikimedia

Was tranken die Durstigen denn damals? Wein – der im Mittelalter den Frauen sowieso verboten war – schmeckte den Hiesigen nicht. Aber Schnaps! Der wohl bedeutendste Schnaps-Entwickler der Region war Johann Eustach Graf von Schlitz, genannt Görtz (1737 bis 1821). Der Mann war ein äußerst effektiver Krisen-Manager des preußischen Königs, hatte aber zwischendurch noch Zeit für eine wirklich wichtige Mission: 1585 gründete er in Schlitz eine der ältesten Brennereien der Welt, in der er aus Weizen Schnaps destillieren ließ. Immer mehr kleine Brennereien gab’s, die aus Korn, Weizen und Kartoffeln den stimmungsaufhellenden Stoff herstellten. Allein die Brennerei in Batten brannte jeden Tag "vier Eimer" Rhön-Fusel. Nach dem Urteil von Rheinisch ein gesundes Gesöff: "Übrigens scheint der inländische Schnaps nicht besonders schädlich zu sein, denn ohngeachtet des großen Branndwein-Verbrauches findet man doch das Delirium tremens äußerst selten, und meistens werden nur solche davon befallen, welche sich dem Trinken der feineren Schnäpse, des Rums oder der Arraks ergeben."

So trank der Schotte: Bier aus Sektflöten, aufgenommen 1844 – das angeblich erste ...Hill & Adamson, metmuseum.org. Wikimedia

Alkohol wird gern als Schmierstoff der Literatur betrachtet. Die Zunft der trinkenden Schreiber könnte leicht einen Festsaal füllen. Jack London, Ambrose Bierce, William Faulkner, John Steinbeck, Charles Bukowski, Dylan Thomas, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse (ja, der auch!). Ohne Getränk fiel E.T.A.Hoffmann einfach nichts Gescheites ein. April 1812 notiert er in seinem Tagebuch: "Habe mich mit Mühe heraufgeschraubt, mit Wein und Bier." Der Trunkenbold Gottfried Keller gab gern den Promille-Helden: "Am Samstagabend, da bleib ich in der Stadt und sauf für sieben Mann. Ich sag Ihnen!" Harry Rowohlt, "ein großer Trinker vor dem Herrn. Der hatte bei seinen dreistündigen Lesungen fast immer eine Flasche irischen Whisky vor sich stehen", berichtet der Verleger Joachim Unseld beinahe bewundernd. Und außerdem unser Goethe, der täglich zwischen zwei und vier Flaschen Wein wegkippte. Schon zum Frühstück stand in Weimar der Schoppen auf dem Tisch. "Frisch, der Wein soll reichlich fließen, nichts Verdrießliches weh uns an", verfügte der Dichterfürst. Heutige Mediziner bescheinigen ihm, er sei Alkoholiker gewesen. Geschrieben hat er freilich auch allerlei, wie wir wissen. Und er wurde 82 Jahre alt. "Ich war eintausendfünfhundertsiebenundvierzigmal in meinem Leben betrunken, aber nie am Morgen", schrieb, ein wenig stolz, Ernest Hemingway. Der Mann wird gern herangezogen als Mahnmal für die schädliche Wirkung des Saufens. Ein Leben im Alkoholexzess, mit brutalen Folgen: Bluthochdruck, Diabetes, Leberschäden, Depression. Am 2. Juli 1961, im Alter von 61 Jahren, presste er die Mündungen einer doppelläufigen Flinte gegen seine Stirn und drückte ab. Adios, Amigo!

Rainer M. Gefeller Archivfoto: ON/Hendrik Urbin

Karl Lauterbach warnt vorm Alkohol, trinkt aber selbst gern Rotwein. 2018 verkündete er über Twitter: "Ohne Alkohol würde wohl unser kapitalistisches System kollabieren. Ich ginge leider wahrscheinlich sogar mit unter..." Und was trinken wir nach solch einem Text? Apfelschorle oder Weißwein? Weil man alles mal probieren muss, habe ich eines Tages an einem Frankfurter Wasserhäuschen eine Flasche Jever Fun bestellt. Ein Stammkunde trat, erkennbar belustigt, herbei und belehrte mich: "Reingefallen! In Jever Fun ist gar kein Fun. Ist nämlich ohne Alkohol!" Man muss halt in alle Richtungen vorsichtig sein... (Rainer Gefeller)+++

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