Das Ensemble von "Der Vorname": Christian Nickel. Alexandra Kamp, Sebastian Goder, Pascal Breuer und Mia Geese. - Fotos: Christopher Göbel

BAD HERSFELD Premiere im Schloss Eichhof

"Der Vorname": Die Adolf-Frage oder der verlorene Anstand

13.07.24 - Peer, Lizzie, Claus, Vincent und Anna sind seit Ewigkeiten befreundet und treffen sich zum Abendessen – guter Wein, miteinander quatschen, Ottolenghi-Rezepte, alles ist für entspanntes Wohlgefühl angerichtet. Dieser Abend aber entwickelt sich unerwartet anders. Und das liegt an Annas Verspätung und Vincents Überraschung,

Wir kriegen ein Baby!

Alles beginnt zunächst harmlos, Vincent erzählt, dass er und seine Frau Anna ein Kind erwarten. Alle freuen sich, beglückwünschen ihn, bewundern das Ultraschallbild. Dann kommt die Frage nach dem Namen auf, und Vincent erklärt seinen Freunden, ihr Sohn solle Adolphe heißen. Das Schweigen auf diese Ankündigung ist ohrenbetäubend, dann bricht ein Tumult aus. Wie jetzt – Adolf wie DER Adolf? Nein, Adolphe nach dem romantischen Helden des gleichnamigen Romans von Benjamin Constant.

Vor allem Peer, der Post-Achtundsechziger-bewegte Literaturprofessor, kriegt sich gar nicht mehr ein: Adolf mit ph oder f, das sei ja wohl egal, der Name sei verbrannt. Immer aggressiver greift er seinen Freund Vincent an, und der gibt ihm ordentlich zurück. Adolf Hitler sei schließlich nicht Adolf Hitler geworden, weil er Adolf geheißen habe. Und ob Peer ihm jetzt Vornamen verbieten wolle, dann könne er gleich mal eine Liste verbotener Namen schreiben. Peer steigert sich immer stärker in seine rigorose Rechtschaffenheit hinein und erwidert, er verstünde diesen Namen als faschistisches Glaubensbekenntnis. Claus und Lizzie können gar nicht so viel schlichten, wie sie müssten – die Emotionen kochen über.

Alles nur ein Scherz?

Kurz bevor die beiden sich an die Gurgel gehen, kommt endlich auch Anna, und Vincent gibt zu – das mit Adolf war nur ein Scherz. Jetzt könnte der Abend endlich ‚normal‘ werden, aber Peer sucht und findet den tieferen Sinn hinter Vincents Eskapade: der habe ihm und Lizzie damit sagen wollen, dass die Namen ihrer Kinder albern seien. Nun ja. Wer seine Kinder Athena und Adonas nennt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Vom Hölzchen aufs Stöckchen, vom ermordeten Pudel zum vermuteten Schwulsein bis zu Geiz, Charakterlosigkeit und zur geschenkten Dissertation: gnadenlos werden die schlechtesten Eigenschaften seziert und bloßgestellt. Großsprechertum, Kleingeistigkeit, Pointen und Gehässigkeiten wechseln sich ab. Aus Freunden werden Kampfhähne, man wirft sich ‚Wahrheiten‘ an den Kopf, die man ‚schon immer mal‘ sagen wollte. Eine Lebenslüge nach der anderen fällt in sich zusammen. Von der Fassade des Bildungsbürgertums bleibt nichts, aber auch gar nichts übrig.

Boulevard mit Abgründen

In Schloss Eichhof wird "Der Vorname" als spritzig-sommerliches Boulevardtheater inszeniert, weniger die politischen, sondern die privaten Aspekte der Geschichte stehen im Vordergrund. Die Dialoge funkeln, es gibt reichlich lokale Anspielungen und aktuelle Bezüge, das Tempo des Schlagabtauschs bleibt von Anfang bis Ende hoch. Es wird boshaft, hinterfotzig, komisch, polemisch, aggressiv und am Ende auch ziemlich radikal. Denn ist die Wohlanständigkeit erst einmal abgelegt, verrohen die Menschen. Gibt es einen Weg zurück? Kann man das Schlachtfeld vergessen? Kann man noch befreundet sein, nachdem man sich all das gesagt hat?

Alexandra Kamp (Elisabeth), Mia Geese (Anna), Sebastian Goder (Claus), Pascal Breuer (Vincent) und Christian Nickel agieren mit viel Spielfreude und haben ganz offensichtlich diabolischen Spaß daran, übereinander herzufallen. René Heinersdorff setzt in seiner Inszenierung auf ein Happy End – das aber gar nicht allzu deus-ex-machina-mäßig über uns kommt. Es kündigt sich in der einzigen leisen, zarten Szene des Stücks an – als nämlich Claus von der Liebe seines Lebens erzählt.

Liebe – da war doch was? Am Schluss finden die Freunde und Paare wieder zusammen, als wäre nichts gewesen. Wir Zuschauer aber sind klüger und wissen genau: Die durch die Adolf-Frage aufgeworfenen Abgründe sind durch diese Harmonieseligkeit nicht beseitigt. Der Anstand ging einmal verloren, bei nächster Gelegenheit wird das wieder passieren. Alles, was dafür nötig ist, ist eine ‚Adolf-Frage‘. Das bestens unterhaltene Publikum spendete reichlich Applaus – es war eine gelungene Premiere der Hersfelder Festspiele. (Jutta Hamberger) +++

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Regisseur René Heinersdorf.


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