Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth (Zweiter von links) hatte Thiago Fayad (links), Gioia Osthoff und Festspiel-Intendant Joern Hinkel zum Kaffeeklatsch ins Buchcafé Bad Hersfeld eingeladen. - Fotos: Christopher Göbel

BAD HERSFELD Michael Roths "Kaffeeklatsch"

Festspiel-Trio mit Privatem, Politischem und einer ernsthaften Gesprächsrunde

16.06.24 - Wenn Michael Roth zum "Kaffeeklatsch", seiner beliebten Talkrunde lädt, dann kommen illustre Gäste und interessierte Besucher. Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, Franz Müntefering oder Claudia Roth saßen schon mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses am Kaffeetisch. Diesmal sollte es der Publizist Michel Friedman sein - doch der musste krankheitsbedingt absagen. Mit Festspiel-Intendant Joern Hinkel, Schauspielerin Gioia Osthoff und Musical-Darsteller Thiago Fayad war aber schnell - und mehr als - Ersatz gefunden. "Streiten für mehr Menschlichkeit" lautete das Thema.

Viele Zuhörerinnen und Zuhörer waren am Samstagnachmittag ins Bad Hersfelder Buchcafé gekommen, um das Festspiel-Trio zu erleben. Theater, Politik und viele weitere Themen hatte Roth im Programm. "Du bist im Schwarzwald geboren und in Ecuador aufgewachsen", sagte der Politiker zu Osthoff. "Das war eine Entscheidung meiner Eltern", so die 1990 geborene Schauspielerin, die in dieser Saison die Rolle der Polly Peachum in "Die Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen verkörpert. Sie selbst sei damals sieben Jahre alt gewesen.

"Die Theaterwelt ist sehr eng und klein"

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland habe sie eine Weltreise angetreten. "Ich hatte Sehnsucht, die Welt zu sehen. Die Welt am Theater ist sehr klein und - anders, als man vielleicht denkt - sehr eng. Es gibt feste Hierarchien und viele Menschen nutzen das aus oder werden ausgenutzt. Ich war vom Theater enttäuscht", so Osthoff. "Ich bin froh, dass ich als Deutsche solch eine Entscheidung, um die Welt zu reisen, treffen konnte." "Deutsche sind diejenigen, die eher selten ein Visum benötigen, wenn sie durch die Welt reisen", sagte Roth dazu.

Auch Fayad, der in Brasilien geboren ist, konnte ein Lied davon singen: "Ich werde immer mehr kontrolliert, weil ich einen brasilianischen Pass habe. Ich werde gefragt, warum ich einreisen möchte, ob ich Geld habe und wie lange ich bleiben will". Fayad, der aufgrund familiärer Zwänge ("In meiner Familie gibt es viele Juristen und Ärzte") zunächst eine Ausbildung zum Computertechniker machte, entschied sich dann doch dazu, seinen Traum wahr zu machen und Tänzer zu werden. Nach siebenjähriger Ausbildung erhielt er ein Stipendium in Vancouver (Kanada), bei dem er einen Vertrag als Tänzer am Theater Nordhausen (Thüringen) erhielt. In Bad Hersfeld ist er als Greg in "A Chorus Line" zu sehen.

Sein Debüt als Musicaldarsteller hatte Fayad in Halle an der Saale. "Oh, da kommen schlechte Erinnerungen auf", sagte Roth. Seine dortige Bundestagskollegin Dr. Karamba Diaby werde bedroht, auf ihr Wahlkreisbüro seien schon Sprengstoffanschläge verübt worden. "Inzwischen werden auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedroht", so Roth. Auch den Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 erwähnte der SPD-Politiker. "Das war etwa 300 Meter von meiner Wohnung entfernt", sagte Fayad. Er sei damals in Stuttgart bei "Aladin" engagiert gewesen. "Der Täter hat eine GoPro gehabt und das alles live ins Internet gestreamt. Tausende haben sich das angeschaut. Und niemand hat etwas gesagt oder getan", so Fayad.

"Rassismus gibt es überall auf der Welt"

"Rassismus gibt es überall auf der Welt. Es ist furchtbar", sagte Hinkel. Auch Fayad erlebe Rassismus heute viel stärker als früher: "Seit der Syrien-Migration werde ich anderes beobachtet. Es ist kein gutes Gefühl, als 'Gefahr' gesehen und von oben bis unten gemustert zu werden."

Bei der anschließenden Kaffeeklatsch-Fragerunde, die wieder etwas Lockerheit in die Runde brachte, erwiesen sich beispielsweise Gioia Osthoff als Nachteule und Wien-Liebhaberin, Thiago Fayad als Hersfeld-Fan und Joern Hinkel als Frühstücksmensch. Und ihre drei Lieblingsorte in der Festspielstadt nannten sie auch: Hinkel in der Stiftsruine, Osthoff im "Mem u Zin" und Fayad im "Vaccastracca".

Auf die Frage, ob die aktuellen Krisen, Konflikte und Krieg auf der Welt einen Einfluss auf den Spielplan 2024 gehabt hätten, sagte der Intendant: "Das alles hat eine große Rolle gespielt. Aber: Ich habe mich gefragt, womit ich den Menschen, die ins Theater gehen, am meisten dienen kann." Er habe sich gefragt, was er in solchen Zeiten sehen wolle. "Es gibt Kriege, aber es gibt viel mehr Menschen, die altruistisch handeln. Wir sind da, um den Menschen Mut zu machen", so Hinkel. "Wir hoffen, dass die Menschlichkeit ganz vorne steht", sagte auch Osthoff. 

"Das sind doch Teufel!"

"Haben die Deutschen aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?", fragte Roth. Die Deutschen sähen sich als "Vorbild" für die Welt, aber dennoch würden - neben den vielen AfD-Wählenden - auch an deutschen Hochschulen Juden ausgegrenzt. "Ich dachte, höhere Bildung würde das nicht zulassen. Aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich hätte das heute nicht für möglich gehalten", so Hinkel. "Es kann doch kein Mensch mit einem Gehirn Antisemit sein", konstatierte der Intendant. Er habe 2011 eine Nazi-Dokumentation gesehen, die ihn drei Nächte nicht schlafen ließ. "Das sind doch Teufel!", sagte der emotional bewegte Festspielchef. 

Laut Thiago Fayad sei es "extrem wichtig, gute Vorbilder zu haben". Als Negativbeispiel nannte er den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro, der die Corona-Pandemie nicht ernst genommen und keine Impfstoffe für die Bevölkerung bestellt habe. "Dadurch sind 600.000 Menschen in Brasilien gestorben", so Fayad. Zudem sei Bolsonaro rassistisch, homophob und gegen Frauenrechte.

"Es ist die Jugend, die rechts wählt", sagte Osthoff. Das sei erschreckend. "Was passiert an den Schulen?", fragte sie. Roth erwähnte, dass an einer Schule in Eschwege 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler bei einer Wahl in der Schule die AfD gewählt hätten. "Die Schule selbst bezeichnet sich als antirassistisch und sie hat engagierte Lehrkräfte", so Roth. Er könne es sich nicht erklären. "Ich glaube, dass die AfD für viele eine Art 'Mainstream-Partei' ist, die man einfach so wählen kann", sagte Osthoff.

"Haben wir statt Lust auf Veränderung Angst vor Veränderungen erzeugt?", fragte der SPD-Politiker selbstkritisch. "Man hat den Eindruck, dass viele Politiker in ihren Fraktionen mit sich selbst beschäftigt sind", entgegnete Hinkel. Auch das Internet, in dem jeder alles veröffentlichen könne, trage dazu bei, dass viele Menschen nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden könnten. Er brachte auch den Verlust der Religiosität ins Spiel. "Es ist ein Versagen der Kirchen, die Schwierigkeiten haben, den Menschen etwas zu vermitteln", konstatierte Hinkel. "Viele Menschen haben keine Werte mehr." Er selbst bezeichnet sich als Christ, auch wenn er keiner Religionsgemeinschaft mehr angehört.

Im Gespräch sagte Thiago Fayad, dass er mit seiner Familie nicht über Politik sprechen könne. "Dann wird es schwierig." Und auch Hinkel erwähnte, dass er sich mit seinem Bruder nicht über politische Themen austauschen könne. "Aber solange sie gewählt sind, muss man sich auch mit ihnen auseinandersetzen", so Hinkel über die AfD-Politikerinnen und -Politiker in den Parlamenten. 

Versöhnlicher Abschluss

Um den immer ernster gewordenen Kaffeeklatsch zum Ende hin wieder in eine positive Richtung zu lenken, fragte Michael Roth seine Talkgäste, was ihnen Halt gebe. "Menschen, die ihr Bestes für die Gesellschaft geben", antwortete Thiago Fayad. "Die Festspiele. Hier sind so tolle Menschen, dass mein Herz wieder aufgegangen ist", so Gioia Osthoff. Und Joern Hinkel sagte: "Zwei Dinge: Spazierengehen in der Natur - und mein Sohn Romeo. Er gibt mir Halt und Hoffnung. Er ist so Welt-zugewandt, der wird das alles besser machen als ich." Und mit diesen anrührenden und hoffnungsvollen Worten endete der Kaffeeklatsch mit viel Applaus. (Christopher Göbel) +++

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