20.07.24 - Sina Mäusgeier ist zwar erst 29 Jahre alt, hat aber schon eine beachtliche berufliche Laufbahn hinter sich. Und sie ist noch nicht ganz dort angekommen, wo sie sein möchte. Dabei stand schon früh fest, dass sie handwerklich arbeiten möchte. Seit 2023 leitet sie die Festspiel-Schreinerei und ist somit für alles, was bei den Kulissen mit Holz zu tun hat, zuständig. OSTHESSEN|NEWS traf die engagierte junge Frau und plauderte unter anderem über Theater, Türme und Treppen.
"Tetris" nennt Sina das, was auf der Nebenbühne geparkt wird, bis es zum Einsatz kommt. ...
Auch mal als "kleines Gespenst": Sina Mäusgeier im von ihr gebauten Uhrturm des Familienstückes. ...
"Mein Vater ist Dachdecker-Meister und ich habe schon früh bei befreundeten Schreinern in Rotenburg ausgeholfen", erzählt Sina. Schon als Kind habe sie handwerkliches Arbeiten fasziniert. "Also habe ich nach der Schule eine Ausbildung im Bereich Fenster- und Türenbau begonnen", erzählt sie. Dann folgte noch das Fach-Abitur Gestaltung. "Und dann wollte ich mal etwas ganz anderes machen", sagt sie lächelnd. Das "Andere" war dann ein Job als Kellnerin in der Festspielkantine direkt neben der Bad Hersfelder Stiftsruine. "Da habe ich die Festspiele kennen und lieben gelernt", erinnert Sina sich. Denn 2015 gab es auf der Wiese hinter der Apsis, dem sogenannten Totenhof, ebenfalls Theater: "Sommernachts-Träumereien". Aber ehe sie wieder zum Theater zurückkehrte, arbeitete die 29-Jährige zwei Jahre in der Spritzguss-Abteilung bei "Continental" (heute "Vitesco") in Bebra im Schichtdienst. "2017 erfuhr ich, dass die Festspiele Bühnenmitarbeiter suchen. Ich habe mich beworben und saß dann beim Bewerbungsgespräch sieben Menschen gegenüber", sagt sie. Und sie wurde dann als erste Frau in der Festspiel-Technik angestellt.
"Ich wollte unbedingt zurück zu den Festspielen"
Der damalige Schreinerei-Chef Detlef von Bremen und der inzwischen leider verstorbene Bühnenmeister Harald Koblenz nahmen die junge Frau unter ihre Fittiche. Bis 2019 war sie dann als Bühnenmitarbeiterin angestellt. Anschließend entschloss sie sich, ihren Meister zu machen, den sie 2021 erfolgreich absolvierte. "Ich wollte unbedingt wieder zurück zu den Festspielen", sagt Sina. Wie das Schicksal es wollte, wurde zu der Zeit ein Nachfolger für Detlef von Bremen gesucht. "Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht - und es hat geklappt. In diesen Job sollte man sein ganzes Herz stecken", erzählt Sina.
Immer Ansprechpartnerin, wenn es um die Festspielbühne geht.
In ihrem Team sind drei bis vier Leute beschäftigt, die in der Festspiel-Schreinerei, die in einem Teil des Fruchtmagazins untergebracht ist, alles, was mit Holz zu tun hat, bauen. Eine weitere Werkstatt ist in der Probenhalle am Kurpark beheimatet. Ehe die Arbeit für Sina und ihr Team losgehen kann, schicken die Bühnenbildner ihre Entwürfe und Ideen an Dietmar Wolf, den Technischen Leiter der Festspiele. Dieser zeichnet dann die Baupläne, die dann in der Schreinerei umgesetzt werden. "Dieser Prozess beginnt meistens zu Anfang eines Jahres. Meist sind Regisseure und Bühnenbildner mit unseren Umsetzungen zufrieden. Es kommt auch auf die Dimensionen und die benötigten Funktionen an", sagt die Schreinerei-Chefin.
Nicht immer wird alles neu gebaut, denn in einem Lager werden Kulissen-Teile aus früheren Produktionen aufbewahrt. "Der Mond in 'Die Dreigroschenoper' war beispielsweise die Uhr in 'Funny Girl'", erzählt sie. Die große Showtreppe dieses Musicals war neben dem Aufbau für "Club der toten Dichter" eine der größten Arbeiten, die sie für die Festspielbühne gebaut hat. Auch die riesigen "Titanic"-Buchstaben stammten aus ihrer Werkstatt. "Somit handeln wir natürlich auch nachhaltig und kostensparend."
"Tetris" mit Kulissenteilen
Doch ihre Arbeit findet nicht nur hinter der Bühne statt, denn während der Aufführungen helfen Sina und ihr Team auch beim Umbau mit. "Dafür haben wir Auftrittslichter von der Inspizienz und sind per Headsets immer verbunden, um unsere Einsätze zu koordinieren", erzählt die 29-Jährige. Während der Spielzeit verbringt Sina Mäusgeier viel Zeit an, in und um die Stiftsruine. Auch als Ansprechpartnerin steht sie zur Verfügung, wenn es darum geht, wohin bestimmte Kulissenteile gebracht oder auf der Bühne verstaut werden müssen. "Bei vier Produktionen in der Stiftsruine sind alle großen Teile immer irgendwo auf der Bühne, aber für jedes Stück werden eben nur die Dinge benötigt, die dazugehören", sagt sie. Alles andere muss am Rand abgestellt werden. Und mit jeder Produktion steigt die Zahl der Kulissen. "Wir nennen das Tetris", sagt Sina lachend. Denn was die Zuschauer nicht sehen: Auf den Seitenbühnen stehen Türme, Treppen und einiges mehr dicht an dicht.
Als Leiterin der Festspiel-Schreinerei steht nicht nur das Handwerkliche auf ihrem Arbeitsplan, sondern auch Büroarbeit, Budget-Planung, die Organisation ihres Teams und die Zusammenarbeit mit den anderen Gewerken. Nicht immer klappt alles auf Anhieb, aber die Gewerke der Bad Hersfelder Festspiele finden immer eine Lösung. "Wir hatten für 'A Chorus Line' zunächst Spiegelfolien vorgesehen. Diese haben sich aber durch die großen Temperaturunterschiede verzogen, so dass sie auf der Bühne nicht mehr eingesetzt werden konnten", erzählt die Schreinerei-Chefin. Da es ein ungeschriebenes Theater-Gesetz ist, dass auf der Bühne kein echtes Glas eingesetzt werden darf, habe eine andere Lösung gefunden werden müssen.
Außerhalb der Festspielzeit gehört beispielsweise der Weihnachtsmarkt zu Sinas ...
Auch die Bühnenaufbauten für "Club der Toten Dichter" stammen von Sina und ihrem ...
Die große Treppe in "Funny Girl" war eine ihrer größten Kulissen.
Spieglein, Spieglein...
Die nun verwendeten Spiegel bestehen aus einem speziellen Sicherheitsglas, das das Verletzungsrisiko für die Darstellenden bei einem Unfall minimiert. Dank der Unterstützung der 'Freunde der Bad Hersfelder Festspiele' konnten diese Spiegel finanziert werden. "Wir werden diese auch außerhalb der Spielzeit in Probenräumen, Maske und Kostüm aufstellen. Die Investition war also nicht einmalig", sagt Sina. Und die ursprünglichen Spiegelfolien sorgen als "Zerrspiegel" an der Stiftsruine für Erheiterung bei den Passanten. "Da haben wir die Folien sogar auch noch nachhaltig eingesetzt", sagt Sina schmunzelnd.
Sina im vergangenen Jahr bei der Festspiel-Matinee.
Was ihr am meisten Spaß an ihrem Job macht? "Die neuen Herausforderungen jedes Jahres sind total schön. Ich lerne immer wieder neue, tolle Menschen kennen. Es passiert immer wieder Neues - nur wenig wiederholt sich", sagt die 29-Jährige mit einem Strahlen in den Augen. Und das Ende der Fahnenstange ist für Sina Mäusgeier noch nicht erreicht: "Ich mache gerade eine Ausbildung zum Meister für Veranstaltungstechnik. Das Ziel ist, irgendwann neben der Leitung der Schreinerei auch Bühnenmeisterin der Bad Hersfelder Festspiele zu sein", sagt die sehr engagierte junge Frau. Außerhalb der Festspielzeit steht unter anderem der Aufbau des "Bad Hersfelder Weihnachtsmarkts der Träume" auf ihrem Arbeitsplan. "Es ist immer etwas zu tun", sagt sie augenzwinkernd.
Sina Mäusgeier zeigt, dass sich hinter der abwertenden Bezeichnung "Kulissenschieber" sehr viel mehr verbirgt. Voller Einsatz, viel Herzblut - nicht nur für das große Herz in "Die Dreigroschenoper" - und hohes Engagement stehen dahinter. Die gebürtige Rotenburgerin, die jetzt in Bad Hersfeld lebt, darf ihren Traumberuf ausüben. Und die Zuschauer der Festspiel-Produktionen dürfen Abend für Abend das Bestaunen, was sie mit ihrem Team gebaut hat. (Christopher Göbel) +++
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